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„Die Briten wollten bewusst keine Siegerjustiz üben“

AUFARBEITUNG Vor 70 Jahren endete der Hauptprozess der britischen Alliierten gegen die Täter des KZ Neuengamme im Hamburger Curiohaus. Politkünstler Michael Batz hat aus den Prozessakten von 1946 ein Dokumentarstück für 13 Stimmen destilliert

Wird jetzt zur Bühne für eine Theater-Aufarbeitung: der Gerichtssaal im Curiohaus, 5. Dezember 1946 Foto: dpa

von Petra Schellen

Sie haben fünfjährige Kinder erhängt, Kriegsgefangene vergast, KZ-Häftlinge geprügelt, erschossen oder durch Injektionen getötet: Jede Art von Gewaltverbrechen haben im KZ Neuengamme jene SS-Leute verübt, die vor 70 Jahren im Hamburger Curiohaus vor Gericht standen. Dieses Verfahren ging zwar weniger laut durch die Presse als die Curiohaus-Prozesse gegen Aufseherinnen des KZ Ravensbrück, das größte Frauenlager des NS-Regimes, humaner war das KZ Neuengamme aber nicht.

Dies aber suggeriert bis heute der Mythos vom nicht ganz so braunen Hamburg. Und hätten die britischen Alliierten, die das KZ Neuengamme 1945 sauber und bar jeder Spur vorfanden, nicht so akribisch recherchiert – es hätte die 190 Curiohaus-Prozesse nie gegeben, denen jetzt ein dokumentarisches Theaterstück des Künstlers Michael Batz am Originalschauplatz nachspürt.

Vor 70 Jahren endeten diese Kriegsverbrecherprozesse, bei denen es sowohl um Befehlende als auch um „Direkttäter“ ging. Verhandelt wurde dabei nur über Verbrechen gegenüber alliierten Bürgern. Verbrechen gegenüber Deutschen überließ man hiesigen Gerichten. Denn die Briten wollten keine „Siegerjustiz“, als deren Opfer sich die Deutschen trotzdem jahrzehntelang fühlten.

Im Curiohaus angeklagt wurde im März 1946 etwa Bruno Tesch, Chef der Firma Tesch & Stabenow, der das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B für die Gaskammern des KZ Auschwitz lieferte. Tesch wusste davon und wurde zum Tod verurteilt.

Der erste speziell auf Neuengamme bezogene Hauptprozess kurz darauf richtete sich gegen 14 SS-Offiziere und Aufseher des KZ Neuengamme. Die Verhandlungen endeten am 3. Mai 1946 – „nicht zufällig exakt ein Jahr nach der Kapitulation Hamburgs“, sagt Batz. Er hat zum 70. Jahrestag ein Stimmenoratorium aus Passagen der Prozessprotokolle destilliert, die 13 Schauspieler am Originalschauplatz lesen werden.

Das Curiohaus im illustren Hamburger Stadtteil Harvestehude, wo Künstler in den 1920er-Jahren wilde Feste feierten, gehört der Lehrergewerkschaft GEW, die den Saal heute für Events vermarkten lässt. Für die Curiohaus-Prozesse hat man das Haus gewählt, weil es eins der wenigen großen Gebäude war, die nach dem Krieg noch intakt waren. Und wenn man heute durch das lichte Jugendstil-Treppenhaus in den dunkel getäfelten Saal geht, ahnt man die Bedrückung, die dort geherrscht haben muss, als Ex-KZ-Häftlinge detailliert gegen ihre Peiniger aussagten.

Die wiederum plädierten auf nicht schuldig; auch Lagerkommandant Max Pauly sprach von „Befehlsnotstand“, wollte Gewalt nicht bemerkt und schon gar nicht die Ermordung von 20 Kindern am Neuengammer Nebenlager Bullenhuser Damm befohlen haben.

Begangen haben sie kurz vor Kriegsende – nach schmerzhaften Experimenten mit TBC-Bakterien und kaum betäubten Organ-Entnahmen – unter anderem die Lagerärzte Kurt Heißmeyer und Alfred Trzebinski sowie Arnold Strippel und Johann Frahm. Trzebinski und Frahm wurden im Curiohaus zum Tode verurteilt, Heißmeyer praktizierte bis zu seiner Verhaftung 1959 unbehelligt. Strippel konnte zunächst untertauchen. Nach dem Krieg wurde er zwar angeklagt, doch die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte die Ermittlungen 1967 „mangels Beweisen“ ein.

Viele Neuengammer Hauptverantwortliche haben die Briten aber gefasst, und das sei überhaupt das Entscheidende an den Curiohaus-Prozessen, sagt Alyn Beßmann, Wissenschaftlerin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: „Dass die britischen Alliierten Lagerhierarchie und Verbrechen in Neuengamme so gut rekonstruiert haben und genau wussten, wen sie vor Gericht stellen mussten.“

Dass die folgenden Verhandlungen nicht nur betont sachlich, sondern auch hoch effektiv verliefen, hing mit einem eigens geschaffenen Zweig britischer Militärgerichtsbarkeit zusammen, den Royal Warrant Courts. Ihnen zufolge reichte die Mitwirkung im verbrecherischen KZ-Lagersystem für eine Verurteilung aus; die individuelle Tat musste nicht zwingend nachgewiesen werden. Das führte allein im ersten Neuengammer Hauptprozess vom März 1946 zu elf Todesurteilen und drei Haftstrafen.

Kommandant Max Pauly wollte keine Gewalt bemerkt und die Morde an den Kindern vom Bullenhuser Damm nicht befohlen haben

Insgesamt hat es 35 britische Neuengamme-Prozesse gegeben; 108 Männer und 20 Frauen standen dabei vor Gericht. Die Hamburger Staatsanwaltschaft dagegen habe, sagt Beßmann, „in 70 Jahren zehn Personen vor Gericht gestellt“. Zudem hat die deutsche Justiz erst in den 1990er-Jahren – die meisten Täter waren tot oder hochbetagt – begonnen, Täter für „organisatorische Mitverantwortung“ zu verurteilen statt für schwer nachweisbare Einzeltaten.

Dieser lange praktizierte implizite Täterschutz entsprach der Stimmung in der Bevölkerung, die das NS-Regime breit mitgetragen hatte und auch an den Curiohaus-Prozessen nur mäßig interessiert war. „Die Deutschen wollten das damals nicht hören“, sagt Reimer Möller, Archivar der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Und sie nahmen Abstand. Presseberichte von 1946 etwa zeichnen die Angeklagten stets mit – auch floskelhaft-verbaler – Distanz als Einzeltäter, die „Entsetzliches“ verbrochen hätten.

Dass diese SS-Leute Teil des noch ein Jahr zuvor gesamtgesellschaftlich getragenen NS-Regimes waren, schrieben Hamburger Echo und Hamburger Nachrichten-Blatt damals nicht. Im Gegenteil, man hatte Verständnis, wenn SS-Arzt Trzebinski die Bullenhuser Morde um der Familie und der Karriere willen und auf Befehl begangen haben wollte.

Dass ein solcher Befehl aber nicht bindend war, zeigt der Fall Fritz Bringmann. Er war als kommunistischer Widerstandskämpfer seit 1940 im KZ Neuengamme und den Mitgefangenen später als „Funktionshäftling“ überstellt. 1942 weigerte er sich erfolgreich, den Befehl zur Vergasung sowjetischer Kriegsgefangener auszuführen.

„39 Tage Curiohaus. Ein Dokumentarstück von Michael Batz“: Mo, 11. April, 19 Uhr, Curiohaus, Rothenbaumchaussee 13, Hamburg. Reservierung unter studienzen­trum@kb.hamburg.de

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