: Das Land bleibt tief in der Krise
Ukraine Nach dem Rücktritt des Ministerpräsidenten fordert Präsident Poroschenko einen schnellen Regierungswechsel. Viele Fragen zur politischen Zukunft sind ungelöst
Aus Kiew Bernhard Clasen
Arseni Jazenjuk, der amtierende ukrainische Ministerpräsident, hat in einer Fernsehansprache am Sonntag angekündigt, am heutigen Dienstag im Parlament seinen Rücktritt einzureichen. Die Gründe für seine Entscheidung, so der Premier, seien vielfältig. Die Krise im Land sei künstlich gemacht. Er habe einen Plan zur Überwindung der Krise erarbeitet. Doch der Wunsch, einen Politiker abzulösen, habe Politiker verblendet.
Und so seien sie nicht zu wirklichen Veränderungen bereit, so Jazenjuk in Richtung seiner Kritiker. Er stehe hinter der Entscheidung der Fraktion des Poroschenko-Blocks, Wolodymyr Hrojsman zum neuen Premier zu ernennen. Und er stehe auch zu den unpopulären, aber notwendigen Reformen der vergangenen zwei Jahre. Forderungen nach Jazenjuks Rücktritt waren in den vergangenen Monaten immer wieder laut geworden.
Kurz vor einer Vertrauensabstimmung im Februar hatte sogar Präsident Poroschenko seinen Premier zum Rücktritt aufgefordert. Angesichts rigoroser Sparprogramme sowie Korruptionsvorwürfen an ihn selbst war Jazenjuks Popularitätskurve in den vergangenen zwei Jahren gegen null gefallen. Seit 2014 geht es wirtschaftlich mit dem Land bergab. Auch 2016 zeichnet sich keine Erholung der Landeswährung Hrywna ab.
Ende Dezember 2015 musste Nikolaj Martynenko, ein enger Vertrauter von Jazenjuk, sein Abgeordnetenmandat niederlegen. Gegen Martynenko laufen in der Schweiz strafrechtliche Ermittlungen wegen Geldwäsche. Er soll von der in Tschechien registrierten Firma Škoda JS Bestechungsgelder auf eine Offshorekonto in Panama erhalten haben.
Größter Anteilseigner der Škoda JS ist die zur Gazprombank gehörende russische Firma OMZ. Beobachter gehen davon aus, dass das ukrainische Parlament noch am heutigen Dienstag Jazenjuks Rücktrittsgesuch annehmen und in dieser Woche eine neue Regierung aus Jazenjuks „Volksfront“ und dem „Block Petro Poroschenko“ bilden wird.
Arseni Jazenjuk
Doch, so die ukrainische Internetzeitung Apostrophe, werde sich diese Regierung auch Unterstützung in anderen politischen Lagern suchen müssen, wolle sie eine stabile Mehrheit haben. Jazenjuk, so Tatjana Schpeicher in der Apostrophe, habe eine günstige Ausgangslage für einen neuen Anlauf zur Macht. Schon jetzt habe Poroschenkos Ansehen wegen des Referendums in den Niederlanden, wo sich eine Mehrheit gegen eine Assoziierung der Ukraine mit der EU ausgesprochen hatte, der Panama-Affäre und der immer noch ungeklärten Frage der Visafreiheit für die Ukraine gelitten. Bald schon würden die Wähler Poroschenko und den neuen Ministerpräsidenten für die Misere im Land verantwortlich machen. Und dann sei der Zeitpunkt für Jazenjuk gekommen, Neuwahlen anzustreben.
Auch Igor Popow von der Radikalen Partei gibt der neuen Koalition nur wenig Zeit. Spätestens im Herbst, wenn der neue Haushalt verabschiedet werden solle, werde die neue Koalition nicht mehr handlungsfähig sein, prophezeit der Oppositionsabgeordnete Popow.
Ratings seien eine sehr vergängliche Angelegenheit, hatte Jazenjuk in der Abschiedsrede erklärt. Möglicherweise, so die Apostrophe, könnte Jazenjuk ein anderes Amt anstreben, das Präsidialamt. Seine Abschiedsrede, in der er versprach, sich für eine Mitgliedschaft der Ukraine in EU und Nato und eine Verfassungsreform einzusetzen, höre sich wie das Programm eines Präsidentschaftskandidaten an.
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