: Benimm für Demokraten
Lotte Tobisch, legendäre Organisatorin des Wiener Opernballs, wird 90
Dass man das Alter einer Dame vergisst, aber nie ihren Geburtstag, gehört zu den wohlformulierten Frechheiten, die die bürgerliche Gesellschaft Frauen nicht erspart. Lotte Tobisch-Labotýn wird am Ostermontag 90 Jahre alt, darauf kann sie stolz sein, halb Wien ist es ohnehin.
Schon als junge Schauspielerin debütierte sie am Burgtheater, wo sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg um den Regisseur Leopold Lindtberg eine Art progressive Zelle gegen den restaurativen Kulturbetrieb bildete. Das brachte sie in Verbindung mit den wenigen, die von der einstigen künstlerischen und intellektuellen Elite der Stadt wiedergekehrt oder geblieben waren. Theodor Adorno machte ihr vergebens den Hof – seine Wien-Obsession nährte nicht allein die Musik Alban Bergs. Daraus entstand lebenslange Freundschaft und der vielleicht schönste 19.-Jahrhundert-Briefwechsel im 20. zwischen „Teddy“ und seiner „Baronin“.
Als Dame der Gesellschaft in Zeiten, die nicht danach waren, entwickelte Tobisch einen Sinn fürs Praktische, war Betriebsrätin an der Burg und prügelte sich 1965 bis zur Gesichtsverletzung mit einem Neonazi anlässlich der Demonstration gegen den Altnazi und offen antisemitischen Wirtschaftsprofessor Taras Borodajkewycz. Das Ereignis war die frühe Initialzündung einer Studentenbewegung in Wien. Ihre autonome Lebensführung trug ihr die Bewunderung der Jüngeren ein und immer wieder die Missgunst des Boulevards. Früh nahm man sie wahr als Feministin avant la lettre.
Von 1981 bis 1996 organisierte sie den Wiener Opernball. Die illustre Fremdschäm-Parade der Neureichen überging sie regelmäßig mit Noblesse. Wer waren schon Ivana Trump und der ebenfalls von Präsidentschaftsambitionen geplagte „Baumeister“ Richard Lugner gegen wirkliche Schurken wie Gaddafi junior oder Imelda Marcos?
Nach dem Untergang der Monarchie und dem Braindrain der Verfolgung und Vertreibung des jüdischen Bürgertums rückten plötzlich verunsicherte Provinzler in Führungspositionen nach. Es grassierte, wie Thomas Bernhard es im „Heldenplatz“ (1988) aussprechen ließ, der „alpenländische Schwachsinn“ im Staate Österreich. Die „Opernball-Lady“ lehrte über die Jahre ihre Gäste, wie sie als Demokraten die Last gesellschaftlicher Repräsentation mit Leichtigkeit tragen können.
Aufklärung und Stil gehören zusammen, auf dem Ballparkett wie beim Neonazisverprügeln. Wir gratulieren! Uwe Mattheiß
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen