: Wenn Ecken mit der Zeit wandeln
Lindencorso Mit der Eröffnung am 5. Mai 1966 bekam die seit Kaiserzeiten berühmte Kreuzung an der Friedrichstraße ein modernes Gesicht. Heute steht dort ein Autohaus
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von Uwe Rada
Vielleicht ist die Lindenkreuzung deshalb so berühmt geworden, weil Mathias Bauer nicht knausrig war. 30.000 Mark im Jahr hat der Wiener lockergemacht, damit in seinem Café Bauer 600 europäische Zeitungen ausliegen konnten. 1878 hatte er sein „Café Bauer“ an der südöstlichen Ecke der Kreuzung Friedrichstraße und Unter den Linden eröffnet. Gegenüber, wo heute das Westin Grand steht, lag das Café Kranzler, und nördlich des Cafés Bauer das Café Victoria. Zehn Jahre nach seiner Eröffnung war die Lindenkreuzung endgültig ins richtige Licht gerückt. Erstmals in Berlin strahlte eine elektrische Straßenbeleuchtung. Lange bevor der Ku’damm zu erstrahlen begann, war Berlin Unter den Linden Weltstadt geworden.
Dahinter konnte auch die DDR nicht zurück. Zwar galt das ganze Augenmerk des Wiederaufbaus nach dem Krieg zunächst der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee). Doch zu Beginn der fünfziger Jahre rückten die Linden in den Blick von Walter Ulbricht. Der Chef des Zentralkomitees reklamierte 1952 für die DDR den Schutz des deutschen Kulturerbes und ordnete den Wiederaufbau Unter den Linden an. Zunächst waren Staatsoper, Zeughaus und Neue Wache an der Reihe, das friderizianische Berlin wurde also schon im Sozialismus rekonstruiert. Richtung Brandenburger Tor durfte es dann modern werden.
Als am 5. Mai 1966, also vor genau 50 Jahren, das Lindencorso und wenig später das Hotel Unter den Linden eröffneten, bekam die Lindenkreuzung ein modernes Gesicht. Gleichzeitig knüpfte man wieder an die alte Tradition an. Im Lindencorso fanden eine Weinstube, eine Nachtbar, ein Tanzlokal und das „Espresso“ Platz, das zu DDR-Zeiten die Boheme-Tradition des Café Bauer fortsetzen sollte.
Wie es im Espresso zuging, beschrieb Stefan Wolle in seinem Buch “Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968“ so: „Während des Semesters ging es in dem Kaffeehaus zu wie in einem Taubenschlag. Am Schnittpunkt aller Wege zwischen Humboldt-Universität, Staatsbibliothek, den Akademieinstituten und den Buchhandlungen des Stadtzentrums gelegen, führte kein Weg am Espresso vorbei. (…) Schön war das Espresso nicht. Dafür war man am Puls der Zeit. Hier war der Weltgeist zuhause. Auch Westbesucher aus der linken Szene kamen gern hierher (…). Sie erzählten mit leuchtenden Augen von ihrer Revolte gegen das Establishment.“
Außen pfui und innen hui, würde man heute sagen. Doch das moderne Gesicht der Lindenkreuzung hatte nicht nur mit der Architektur zu tun, sondern auch mit der Aufenthaltsqualität. Das Hotel Unter den Linden mit seinen 405 Zimmern auf der nordöstlichen Ecke wurde nicht an der historischen Flucht der Friedrichstraße errichtet, sondern zurückgesetzt – vor dem Eingang war so ein kleiner Stadtplatz entstanden.
Damit war nach der Wende Schluss. 1992 wurde das Lindencorso abgerissen. Bis 1997 entstand nach den Entwürfen des Architekten Christoph Mäckler das „neue“ Lindencorso. Cafés gab es dort keine mehr, stattdessen zog ein Autohaus ein. Ob das Zeitgeist-Café der Volkswagen-Group da Abhilfe schafft, darf getrost bezweifelt werden. Das Hotel unter den Linden wurde 2007 abgerissen. Mit dem Bau des Geschäftshauses Upper-East verläuft die Friedrichstraße wieder in der alten Flucht. Nur hat die berühmte Ecke, die den Sozialismus überstanden hat, vor dem Kapitalismus leider kapitulieren müssen.
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