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IS-Propaganda „Dabiq“, „Kybernetiq“, „Inspire“ – der radikale Islamismus verbreitet seine Ideologie auch mithilfe von Zeitschriften, die als PDF-Ausgaben im Internet kursierenTerroristen als Filmstars

von René Martens

Abu Rayyan al-Faransi und Abu Mujahid al-Baljiki blicken zuversichtlich bis entschlossen drein, ebenso die sieben anderen Männer, die Dabiq, das Propagandamagazin des „Islamischen Staats“, auf einer Seite unter der Headline „Just Terror“ zeigt. Bei den neun Abgebildeten handelt es sich um die getöteten Attentäter der Pariser Anschläge vom 13. November 2015. Aufmachung und Layout erinnern an ein Hollywood-Filmplakat: Die Porträts der Massenmörder, versehen mit ihren Namen in Großbuchstaben, sind in eine ganzseitige Collage von Aufnahmen aus Paris eingebettet. Die Terroristen werden hier quasi als Filmstars verkauft.

Die Redaktion nutzt auch ein anderes Element aus der Werbung: „Just terror“ ist offenbar angelehnt an den Nike-Slogan „Just do it“. Der IS sei „sehr imagebewusst“, wie ein Konzern, und inszeniere sich auf eine ähnliche Art wie Coca-Cola oder Nike, sagte bereits im November 2015 ein mit der IS-Medienstrategie befasster US-Geheimdienstmitarbeiter, den die Washington Post für ihre Hintergrundgeschichte „Inside the surreal world of the Islamic State’s Propaganda machine“ befragte.

Wie funktioniert die Propagandamaschinerie des IS und anderer dschihadistischer Organisationen? Wie gelingt es ihnen, Unterstützer oder gar Terrorkämpfer zu rekrutieren? Bei der Beantwortung der Fragen stehen in der Regel die Videos, vor allem jene von Exekutionen, im Blickpunkt. Der radikale Islamismus verbreitet seine Ideologie aber auch mithilfe von Zeitschriften, die als PDF-Ausgaben im Internet kursieren. Das Magazin Dabiq, das auf kitschige Weise die Attentäter von Paris heroisiert, ist nur eins von ihnen.

Die Argumentation: „Wir wehren uns ja nur“

Charakteristisch für diese Blätter ist, dass sie zugeschnitten sind auf ein relativ junges Publikum, das medial westlich sozialisiert ist. In der aktuellen Ausgabe von Dabiq, der Nummer 13, scheinen die Macher auf die Beliebtheit von Top-10-Listen zu reagieren. Gleich drei Seiten mit jeweils zehn Standbildern ausgewählter, teils martialischer Propagandavideos sind übers Heft verteilt. Dass es nicht besonders originell ist, diese Idee in einem Heft gleich mehrmals umzusetzen, scheint die Blattmacher nicht zu stören.

Die Washington Post schrieb in ihrem instruktiven Artikel im Herbst, die Propaganda des IS erwecke den Eindruck, sie sei „inkohärent“. Ein Blick in Dabiq bestätigt das. Einerseits finde sich dort das Narrativ vom Kalifat als „Utopie der friedlichsten Gesellschaft überhaupt“, andererseits sei das Blatt von positiven Darstellungen „krasser Gewalt“ geprägt, sagt Jan Buschbom, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Violence Prevention Networks in Berlin. Das Netzwerk kümmert sich um Jugendliche, die ins terroristische Milieu abzurutschen drohen. Buschbom beschäftigt sich mit dschihadistischer Propaganda, um das, was die Klienten lesen oder lesen könnten, einschätzen zu können – und daraus gegebenenfalls „konzeptionelle Konsequenzen“ für die Beratungsarbeit zu ziehen.

Für die Klienten des Violence Prevention Networks sei diese Blattlinie aber „nur auf den ersten Blick widersprüchlich“, meint Buschbom. „Das sind gebrochene Persönlichkeiten, die genau solche Widersprüche in sich tragen.“ Da gebe es den „Wunsch nach Ruhe, Barmherzigkeit und Familie“ und gleichzeitig „eine stark ausgeprägte Gewaltlatenz“. Dabiq thematisiere diese „Brüche“ und sei deshalb „hochgradig wirkungsvoll“. Wobei er manchmal perplex dar­über sei, „wie wenig Mühe sich Dabiq dabei gibt, Gewalt zu rechtfertigen“, sagt Buschbom. Die Argumentation lautet im Kern: Wir wehren uns ja nur.

Mit der Bildsprache von Dabiq hat sich taz-Autor Georg Seeßlen kürzlich in der Zeitschrift konkret befasst: Dabiq arbeite „mit Kompositionen aus dem Lehrbuch der Bildpsychologie: dunkle, vage Schattenwelten, die in ein Feuermeer verwandelt werden, davor der vermummte Gotteskrieger mit dem geschulterten Maschinengewehr. Es ist zweifellos eine Anmutung zwischen Hollywood und Kosmetikwerbung für den metrosexuellen Mann“. Wie schwer Journalisten manchmal eine kritische Auseinandersetzung mit den Darstellungsformen der IS-Propaganda fällt, macht Bernd Zywietz in seinem Blog „Terrorismus & Film“ anhand eines im Februar gesendeten Beitrags des ARD-Kulturmagazins „ttt“ über Dabiq deutlich. Der Medienwissenschaftler der Uni Mainz spricht von dem „Problem der spektakulären Inszenierung spektakulärer Propaganda“: „Als wäre die Statik der Publikation eine eigene Provokation für das Medium Fernsehen, werden Details mit Kameraschwenks abgetastet, werden Inhalte ins Bild gescrollt, ergänzend IS-Propagandavideoaufnahmen beigemengt.“

Zywietz fragt, „wie man die IS-Propaganda entzaubern oder ihre Grenze aufzeigen soll“, wenn man sie „in einer Art Zerrspiegel“ vervielfältige. „Die Formen und Mittel, die die Dschihadisten für die Attraktion und Faszination ihrer Botschaften und Sichtweisen nutzen, sind eben jene, die sie sich quasi von spektakulären TV-News und Werbeclips, von einer allgemeinen, dem aufmerksamkeitsheischenden Augensinn- und Nervenkitzel abgeschaut haben.“

Möglicherweise hat der Dschihadismus also mehr mit uns zu tun, als wir glauben – und ist „westlicher“, als seine Chefideologen ihren (potenziellen) Jüngern glauben machen wollen.

Ähnlich bekannt wie Dabiq ist die Al-Qaida-Zeitschrift In­spire. „Sie operiert nicht nur auf der emotionalen Ebene und argumentiert geschickter“, sagt Jan Buschbom. Dabiq sei dagegen „Terrorristenboulevard für die noch einfacheren Gemüter“. Ähnlich sieht es Bernd Zywietz: Im Vergleich mit In­spire wirke Dabiq wie die Bild-Zeitung. Der Medienwissenschaftler hebt den „gestalterischen Anspruch“ von Inspire hervor. Es gebe in dem Magazin „viel Weißraum“ und keinen Bilder-Overkill wie bei Dabiq. „Wenn man Inspire in gedruckter Form an einem Flughafen­kiosk zwischen die Businessmagazine legen würde, fiele die Zeitschrift gar nicht auf“, sagt er. Für diese Art der Professionalität nimmt man sich bei Inspire allerdings sehr viel Zeit. 2016 ist noch keine Ausgabe erschienen, 2015 kam lediglich eine heraus – im September. Das Heft enthält unter anderem eine „militärische Analyse“ des Attentats auf die Redaktion von Charlie Hebdo, das im Januar jenes Jahres stattfand. Aktualität ist Inspire also egal. Dabiq schafft es immerhin, alle zwei Monate ein neues Heft fertigzustellen; seit drei Ausgaben erscheinen auch deutschsprachige Versionen.

Der Titel: „Werde zum Albtraum der Geheimdienste“

„Es ist zweifellos eine Anmutung zwischen Hollywood und Kosmetikwerbung für den metrosexuellen Mann“

Georg Seeßlen über das Magazin Dabiq

Eine sehr kleine Zielgruppe hat Kybernetiq, das neueste dschihadistische Magazin, im Visier. Anders als in Dabiq werden keine Taten angekündigt oder kommentiert, keine Bilder von Opfern gezeigt, keine Märtyrer abgefeiert. Kybernetiq bezeichnet sich selbst als „das erste deutschsprachige Magazin von Mudschahidin mit den Schwerpunkten Informationstechnologie, Kommunikation und Sicherheit“ und liefert auf ganz eigene Art den von Verlagen gern gepriesenen Nutzwertjournalismus: „Werde zum Albtraum der Geheimdienste“, lautet eine der Titelzeilen der ersten Ausgabe, die seit Dezember kursiert. Im Heft: Tipps in Sachen Verschlüsselungstechniken. Das Titelbild zeigt zwei Hände nebeneinander, die eine hält eine Patrone, die andere einen USB-Stick.

Ihr Nerds seid genauso wichtig wie unsere Kämpfer – so lautet die Botschaft. Bernd Zywietz meint, Kybernetiq richte sich an Cyberaktivisten, die mit dem Terrorismus kokettieren, aber keineswegs nach Syrien oder in den Irak ausreisen wollen.

Die Neuartigkeit von Kybernetiq – erste nur auf Deutsch erscheinende dschihadistische Zeitschrift, erster Special-Interest-Titel – könnte Nachahmer animieren. Zywietz findet an der Nerdpostille nicht zuletzt auffällig, dass sie keiner größeren Gruppierung zuzuordnen ist. Er sieht Kybernetiq als ein Beispiel für die „Graswurzelpropaganda“, die mittlerweile auch im Dschihadismus zu finden ist – trotz der autoritären Strukturen seiner Organisationen.

Wie für jede Art von Inhalt gilt auch für Terrorpropaganda, dass jedermann Produktionsmittel und Verbreitungswege zur Verfügung stehen. Jeder IS-„Fanboy“, sagt Zywietz, könne ohne große Schwierigkeiten sein eigenes Propagandains­trument kreieren.

Beruhigende Aussichten sind das nicht.

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