Was an den WahlergebnisseN vom vergangenen Sonntag wirklich überraschend ist: Unheil Deutschland
Zun Hause bei Fremden
von Miguel Szymanski
Ein Jahr lang habe ich in Baden-Württemberg gelebt und gearbeitet. Aalen oder Stuttgart sind nicht wirkliche Weltstädte, aber sie haben einen sehr eigenen Charme, irgendwo zwischen deutscher Fremdenverkehrsromantik mit Maultaschen und dem intensiven Fernverkehr der Lastkraftwagen, die die Produkte der Region in die Welt transportieren: Autoteile, Plüschtiere, Hochtechnologiebüstenhalter, Spezialschrauben, sturmsichere Regenschirme, Schiffsturbinen, Industrieroboter, Drahtwälzlager, Waffentechnik und vieles andere.
In Sachsen-Anhalt war ich sehr oft. Dort lehrte der ältere Bruder meines deutschen Vaters jahrzehntelang als Biologieprofessor in Halle; seit seiner Pensionierung besuche ich ihn regelmäßig in Merseburg. Halle kenne ich sogar seit der Zeit des Zwangsumtauschs. Mit der Tasche voller DDR-Scheine habe ich als Jugendlicher in einem Geschäft in der Schlange gestanden, um eine Armbanduhr zu kaufen, an der ich nicht sehr lange Freude hatte, da kurz nach meiner Rückkehr nach Portugal der Stunden- und Minutenzeiger fast zeitgleich abfielen und nutzlos hinter dem Uhrglas hin und her trieben wie Goldfische im Aquarium.
Baden-Württemberg ist eines der reichsten Länder der Bundesrepublik, Sachsen-Anhalt gehört zu den ärmsten. Die Lebensbedingungen sind so verschieden, wie es in Deutschland nur möglich ist.
Als Halbportugiese und Halbdeutscher war ich in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt stets Ausländer und Einheimischer zugleich. Die ersten Male, die ich als Kind die DDR besuchte, sprach ich noch kein Wort Deutsch. Als ich mit 47 Jahren von Lissabon nach Schwaben auswanderte, konnte ich mich zwar einwandfrei ausdrücken, doch der Kulturschock war deswegen nicht kleiner. In einer Hinsicht sind sich diese beiden Bundesländer sehr ähnlich, und das haben sie mit anderen Städten und Regionen in Deutschland gemeinsam, in denen ich gelebt habe: Die Biodeutschen unter den Einheimischen sind Deutsche, die von ihren Eltern, diese wiederum von ihren Großeltern erzogen wurden. Das hinterlässt Spuren und geht nicht von alleine weg, nicht ohne Psychotherapie.
Deswegen überraschen mich diese Wahlen vom vergangenen Sonntag nicht so sehr. Ich finde es erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis eine rechtsextreme, rassistische Partei mit zweistelligen Wahlergebnissen in die Landesparlamente einzog. Es überrascht mich, dass nur 24 Prozent der Wähler in Sachsen-Anhalt der rassistischen AfD ihre Stimme gegeben haben. Und es überrascht mich noch mehr, dass es in Baden-Württemberg nur 15,1 Prozent waren.
Als Deutscher wurde ich vor zwei Jahren von einem deutschen Nachbarn in Frankfurt, der den Umzugswagen mit Heidenheimer Kennzeichen sah, erstaunt begrüßt. Er wollte wissen, warum ich nach Frankfurt käme, es sei doch „alles schon in ausländischer Hand”. Ähnliche Situationen passieren oft, wenn meine deutschen Mitbürger miteinander reden. Und wenn ich als Ausländer auftrete, mich öffentlich „ausländisch“ unterhalte oder weil meine deutsche Kultur nur aus einer hauchfeinen Lackschicht besteht, wird es schnell subtil fremdenfeindlich bis offen unangenehm. Der gespürte Anteil der AfD-Wähler in Deutschland beträgt für mich als Ausländer ca. 33 Prozent.
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