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"Die Schockstarre legt sich nun wieder"

Bestattungskultur Da sich immer mehr Menschen den Wald oder andere Formen der Urnenbestattung aussuchen, müssen Friedhöfe auf Umnutzung setzen

Foto: privat
Lutz Rehkopf

52, Germanist und Soziologe, ist seit 17 Jahren auf dem Ohlsdorfer Friedhof beschäftigt. Zuerst war er für die Kommunikation ökologischer Projekte zuständig. Seit 2005 ist er Sprecher der Hamburger Friedhöfe.

taz: Herr Rehkopf, Beisetzungen decken heute ein Spektrum von der Seebestattung bis zum Friedhof des Hamburger Sportvereins ab. Ist der normale Friedhof ein Auslaufmodell?

Lutz Rehkopf: Das sind die Ausnahmen. Nur drei Prozent der Bestattungen finden zu See statt und auf dem Friedhof des HSV gab es in vier Jahren vier Beisetzungen. Das verändert nicht unsere Struktur. Aber der moderne Friedhof muss sich wandeln, wie er sich auch in der Vergangenheit gewandelt hat.

Wie sahen Friedhöfe früher aus?

Friedhöfe spiegelten gestalterisch immer die Moden und Strömungen ihrer Zeit wider. Um die Jahrhundertwende herum lagen Mausoleen und Armengräber nebeneinander. Heute kehrt das nach einer Phase, in der der Friedhof ein recht einheitliches Friedhofsbild hergab, langsam wieder.

Was war in der Zwischenzeit anders?

Von den 1950er- bis 1990er-Jahren lagen etliche Grabstätten nebeneinander, und alle Grabsteine wiesen ähnliche Größen und Materialien auf. Der Friedhof wirkte daher monoton. Erst seit rund 15 Jahren entstehen wieder Mausoleumsbauten – und es gibt immer mehr künstlerisch gestaltete Grabsteine.

Wie erklären Sie sich dieses Bedürfnis?

Da ist eine Tradition abgebrochen: Noch vor 100 Jahren waren alle Grabstätten künstlerisch gestaltet. Doch dann kamen die beiden Weltkriege, und der Tod gehörte nun zu jungen Leuten, die mitten im Leben gestanden hatten: den Soldaten. Die Trauer um die dort Verstorbenen war so übermächtig, dass es die Friedhofskultur lähmte. Die Schockstarre der vergangenen Jahrzehnte legt sich nun wieder.

Ist das der einzige Grund für das Wiederaufleben der Friedhofskultur?

Nein. Während der Aidskatastrophe Ende der 80er-Jahre sind viele lebensfrohe Homosexuelle in relativ kurzer Zeit schockartig gestorben und aus einer innigen Gemeinschaft gerissen worden. Aus der Schwulenbewegung und der Erfahrung des Aidstodes kam das Bedürfnis, die Trauerfeier bunter und fröhlicher zu gestalten. Der Tod wurde als Teil des Lebens betrachtet. Da haben sich neue Formen der Trauerkultur entwickelt, die sich inzwischen gesamtgesellschaftlich durchgesetzt haben.

Welche zum Beispiel?

Inzwischen werden Konzerte oder Friedhofsführungen angeboten, auch ohne eine Trauerfeier. Auch tragen viele bei einer Beerdigung keine schwarze Kleidung, und statt den Kirchenchor zu bestellen, singen sie selber.

Stimmt es, dass es immer mehr Urnenbegräbnisse gibt?

Ja, die Urnenbeisetzungen werden mehr, die Sargbeisetzungen weniger. Das hat für Friedhöfe zur Folge, dass sie ein Platzproblem bekommen. Es gibt zu viel Platz.

Wie reagieren die Friedhöfe?

Sie suchen nach Nachnutzungen. So wurden verschiedene Friedhofsteile zu öffentlichem Grün erklärt. Zurzeit wird auch ein Bürgerbeteiligungsverfahren eingeleitet. Die Bürger und Bürgerinnen sollen gefragt werden, welche Nachnutzungen sie sich auf Friedhöfen vorstellen können.

Welche Alternativen zum Sarg gibt es außer dem klassischen Urnenbegräbnis?

Baumgräber. Hier spielt die symbolische Verbindung zwischen oben und unten eine Rolle: Die Wurzeln graben sich in die Erde, und die Krone erhebt sich in den Himmel. Zudem muss kein Grabstein gekauft werden, sondern nur ein Schildchen, das am Baum befestigt wird. Das spart Geld.

Wie läuft eine Baumbestattung ab?

Die Urnen werden in mit etwas Abstand in einem Ring um den Baum herum eingelassen, so dass das Wurzelwerk nicht beschädigt wird. Die Baumbestattung ist derzeit die gefragteste Variante.

Warum?

Einerseits aus ökonomischen Gründen: Sie sparen den Grabstein, der bis zu 2.000 Euro kosten kann, und haben auch keine Grabpfleg . Hauptgrund ist aber die Symbolik des Baumes.

Gaben die Menschen früher mehr für ihre Toten aus?

Ja. Vor 120 Jahren war es wichtig, eine teure, repräsentative Grabstätte zu haben, die man vorzeigen konnte. Heute ist es wichtiger eine Villa zu besitzen oder Urlaub zu machen.

In Hamburg gibt es inzwischen zu 80 Prozent Feuerbestattungen. Warum?

Zum einen gibt es mehr Begräbnisvarianten, die nur mit Urne möglich sind. Zum anderen hat der Einfluss der Kirche nachgelassen; noch bis Ende der 1960er-Jahre durften sich Katholiken nicht einäschern lassen, weil das die Auferstehung verhindere.

Deutschlandweit sind lediglich 52 Prozent Feuerbestattungen. Warum sind es in Hamburg so viel mehr?

Die katholischen Gegenden liegen im Norden ein wenig zurück. Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle, welches eigentlich ein katholisch-evangelisches Gefälle ist. In Flensburg gibt es bereits 98 Prozent Urnenbeisetzungen. In katholisch-regierten Bundesländern, wie Bayern oder Baden-Württemberg, liegt der Anteil bei 15 bis 20 Prozent.

Welche Rolle spielt heute die Grabpflege?

Viele Kinder wohnen nicht mehr in dem Ort, wo ihre Eltern beigesetzt sind. Diese Bürde der Grabpflege ist dann schwierig. Deswegen gibt es heute viele Angebote, wo man keine eigene Pflege mehr leisten muss. Interview: Anna Gröhn

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