Strafjustiz Geteilte Reaktionen auf das Urteil über den früheren bosnischen Serbenführer Radovan Karadžić: Meilenstein der Justiz
Aus Sarajevo Erich Rathfelder
Das Urteil von Donnerstag über den ehemaligen Serbenführer und Präsidenten der sogenannten Republika Srpska in Bosnien und Herzegowina, Radovan Karadžić, hat zu weltweiten Reaktionen geführt. Der 70-jährige Karadžić soll eine 40-jährige Gefängnisstrafe in einem noch nicht bekannten Land verbüßen, die acht Jahre Untersuchungshaft werden angerechnet. Es wird erwartet, dass Karadžić in Berufung geht.
Das Gericht befand Karadžić in zehn von elf Anklagepunkten schuldig, darunter schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Ausrottung, Deportationen, Terror und Vertreibung. Insbesondere verurteilte es ihn wegen Völkermords im Zusammenhang mit dem Massaker 1995 in Srebrenica (8.372 Ermordete) und der 44-monatigen Belagerung Sarajevos, bei der 11.000 Zivilisten getötet wurden.
Der Prozess gegen Karadžić hat sechseinhalb Jahre gedauert. An 497 Verhandlungstagen wurden 586 Zeugen gehört und 115.000 Seiten Dokumente ausgewertet.
Das Urteil wird international höchst unterschiedlich bewertet. So sprach UN-Generalsekretär Ban Ki Moon von einem „historischen Tag für die internationale Strafjustiz“. Der UN-Generalsekretär sieht in dem Urteil eine „starke Botschaft“ an alle Politiker, dass sie „für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden“.
Auch UN-Chefankläger Serge Brammertz, der eine lebenslange Strafe gefordert hatte, begrüßte das Urteil. „Tausende sind hierhergekommen, um ihre Geschichten zu erzählen und ihren Peinigern mutig zu begegnen – heute ist mit diesem Urteil dieses Vertrauen belohnt worden“, erklärte er. Marieluise Beck, Sprecherin der Grünen für Osteuropapolitik, betonte, „das Signal des Urteils sei, dass die internationale Gemeinschaft Kriegsverbrechen nicht ungesühnt lässt“.
Russland dagegen kritisiert das Urteil und die Institution des UN-Tribunals in Den Haag. Die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechertribunals sei politisiert und das Urteil „einseitig“, sagte Vizeaußenminister Gennadi Gatilow am Freitag in Moskau. Den Serben würde ein faires Gerichtsverfahren verweigert.
In Belgrad erklärte der ebenfalls in Den Haag angeklagte und wegen seines Gesundheitszustandes auf freiem Fuß befindliche Ultranationalist Vojislav Šešelj vor 5.000 Anhängern, das Urteil über Karadžić sei „gegen das ganze serbische Volk und seine Geschichte“ gerichtet.
Serge Brammertz, Chefankläger
In einem Anklagepunkt wurde Karadžić allerdings freigesprochen. Verbrechen in sieben bosnischen Gemeinden, so in der westbosnischen Stadt Prijedor, seien nicht zweifelsfrei als Völkermord einzustufen, urteilte das Gericht. Faruk Kajtaz, bekannter Journalist aus Mostar, widerspricht: Prijedor mit seinen Konzentrationslagern sei das „Srebrenica von 1992“ gewesen, sagt er. „Dort gab es einen Völkermord, mehr als 3.500 Menschen wurden in den KZs Omarska, Keraterm und Trnopolje ermordet und über 50.000 Nichtserben vertrieben.“
Dem ehemaligen Insassen des Konzentrationslagers Trnopolje, Sudbin Musić, der den Mord an 45 Menschen seiner weiteren Verwandtschaft erleben musste, macht Sorgen, dass die „ethnische Säuberung“ in der Republika Srpska jetzt einfach weitergehen könnte.
Witwen der Opfer des Massakers von Srebrenica wie Hatidza Mehmedović nahmen das Urteil verärgert auf – sie hatten auf lebenslange Haft gehofft.
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