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"Die LehrerInnen sind viel gechillter als an anderen Schulen"

Oberstufe Nisa Bozkurt und Meryem Özkan gehen auf die Rütlischule. Dass Schüler hier mal Stühle aus dem Fenster warfen, sei ein alter Hut, sagen sie

taz: Frau Bozkurt, Frau Özkan, wie reagieren Leute, wenn Sie erzählen, dass Sie RütlischülerInnen sind?

Nisa Bozkurt: Eher negativ.

Meryem Özkan: Auf jeden Fall! Viele denken immer noch an die Rütlischule als Problemschule, wo Schüler Stühle aus dem Fenster geworfen haben.

Bozkurt:Manche denken auch, wir bekämen die Noten geschenkt, weil sie an der Rütlischule froh sind, wenn sie überhaupt SchülerInnen haben.

Özkan: Viele haben noch diese Vorurteile. Aber das ist jetzt zehn Jahre her, das ist längst nicht mehr so.

Und wer reagiert anders?

Özkan: Nur Lehrer – also von anderen Schulen – reagieren meist anders. Sie wissen, dass die Rütlischule sich positiv entwickelt hat.

Wie sind Sie darauf gekommen, zur Rütlischule zu gehen?

Bozkurt: Ich hatte eine Freundin auf der Rütlischule, die mir viel Positives erzählt hat. Als ich nach der 10. Klasse in die Oberstufe wollte, bin ich dann auf die Rütli gegangen.

Özkan: Ich habe am Anfang der Oberstufe gewechselt, weil ich mich in der Schule, die ich zuerst gewählt habe, nicht wohl gefühlt habe. Bei mir war es auch eine Freundin, die mir erzählt hat, wie wohl sie sich hier fühlt.

Sie kennen also andere Schulen: Warum gefällt es Ihnen hier besser? Was fällt Ihnen da als Erstes ein?

Özkan: Gemeinschaft.

Zwischen wem?

Özkan: Zwischen allen, LehrerInnen und SchülerInnen und den SchülerInnen untereinander. Wir machen keine Unterschiede untereinander, wer aus welchem Land stammt oder welche Religion hat. Jeder bringt etwas mit in die Schule und teilt es mit den anderen, das ist die Haltung. Das gibt Zusammenhalt.

Sie meinen, zwischen Deutschstämmigen und Eingewanderten?

Özkan: In unserer Jahrgangsstufe sind alle Migranten. In denen darunter gibt es welche, aber wir haben keine biodeutschen SchülerInnen. Aber wir sind trotzdem sehr gemischt, Türken, Araber, Kurden, Bosnier, auch Vietnamesen oder Leute aus afrikanischen Ländern. Jeder ist bei uns herzlich willkommen.

Frau Bozkurt, was gefällt Ihnen an der Rütlischule besser als an anderen Schulen?

Bozkurt: Die LehrerInnen. Sie sind hier anders als an den anderen Schulen, wo ich war, viel offener und gechillter. Menschlicher. Wenn es ein Problem gibt, nehmen sie sich Zeit für uns, ob es um den Lehrstoff oder etwas anderes geht. Sie kommen uns wirklich entgegen.

Warum klappt das hier und anderswo nicht?

Özkan: Ich glaube, an der Rütlischule geben sie sich mehr Mühe, weil sie wissen, welchen schlechten Ruf die Schule hat. Und da machen alle mit, LehrerInnen, SchülerInnen und die Schulleitung.

Bozkurt: Ich glaube, es liegt auch daran, dass wir ein ziemlich junges Kollegium haben. Die können sich einfach ganz gut in uns hineinversetzen.

Gibt es eigentlich auch Lehrkräfte, die MigrantInnen sind?

Nisa Bozkurt

20, möchte nach dem Abitur Mathematiklehrerin werden. Ihre Eltern stammen aus der Türkei.

Özkan: Ja, einige, auch Sozialarbeiter. Manche sind auch mit Ausländern verheiratet.

Bozkurt: Ich glaube, das sind zusammen so fast 30 Prozent, oder?

Ist das wichtig für Sie?

Bozkurt: Für uns weniger, aber für die Jüngeren spielt das eine Rolle. Sie sind frecher und testen die LehrerInnen aus, das ist ja auch normal. An die mit Migrationshintergrund gehen sie vorsichtiger ran. Und diese LehrerInnen sind auch meist sehr beliebt bei den Schülern.

Sie wollen ja selber auch Lehrerin werden, Frau Bozkurt.

Bozkurt: Ja, Mathelehrerin.

Hat dieser Berufswunsch etwas mit Ihren guten Erfahrungen an der Rütlischule zu tun?

Bozkurt: Nein, das will ich schon seit der Vorschule.

Frau Özkan, was sind Ihre Pläne nach dem Abi?

Özkan: Ich möchte mich für den diplomatischen Dienst bewerben oder Wirtschaft studieren.

Was steht vorher noch an?

Özkan: Es stehen nach den Osterferien drei Abiturklausuren und eine mündliche Prüfung auf dem Programm. Die Präsentation haben wir schon hinter uns gebracht.

Bozkurt: Im Juli bekommen wir dann unsere Ergebnisse. Und ich möchte im Herbst anfangen zu studieren. Vorher will ich etwas jobben und verreisen.

Özkan: Ich will es auch durchziehen und gleich im Wintersemester auf die Uni. Ich habe mir die Bewerbungsfristen schon angesehen.

Wirtschaft ist ein Fach mit Zulassungsbeschränkung, oder?

Meryem Özkan

19, möchte später Wirtschaft studieren. Ihre Eltern sind aus der Türkei geflüchtete Kurden.

Özkan: Ja, zuletzt lag der Notendurchschnitt bei 2,2. Aber das sieht bei mir ganz gut aus.

Sind Sie eigentlich die Ersten in Ihren Familien, die zur Uni ­gehen werden?

Bozkurt: Unter meinen Angehörigen in der Türkei sind einige, die studiert haben, auch eine Lehrerin. Aber in der Familie hier in Deutschland werde ich die Erste sein.

Özkan: Das ist bei mir genauso. Also eine Cousine von mir hat gerade ihr Jurastudium beendet, aber wir sind quasi die erste Generation. Meine Eltern sind als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, sie hatten nicht die Chance, hier zur Uni zu gehen. Mein Vater sagt mir auch oft, dass ich ein Vorbild für meine Geschwister bin. Und ich sehe das auch so.

Und wenn Ihre kleinen Geschwister später fragen, auf welche Oberschule sie gehen sollen – sagen Sie dann Rütli?

Özkan: Ich würde jedenfalls nicht abraten.

Interview Alke Wierth

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