Offener Tisch Der beste Wein ist der, den man selbst produziert hat. Auch wenn er nach Aceton riecht. Mit ihm gelingt das perfekte Gericht für die Helfer bei der Ernte: Ochsenschwanz im eigenen Wein
: Eine Flasche pro Tag

Der Zeichner Sepp Buchegger war einer der Weinbergshelfer und hat den Autor beim Kochen gezeichnet

Von Philipp Maußhardt

Für das Rezept braucht man ungefähr drei Jahre Zeit. Es beginnt damit, dass man ein nach Süden ausgerichtetes Stück Land mit Reben bepflanzt. Jungreben benötigen drei Jahre, bis sie zum ersten Mal Trauben tragen.

Meinen ersten Weinberg habe ich als Student betrieben, zusammen mit fünf Freunden im oberen Neckartal. Keiner von uns hatte Ahnung vom Weinbau, aber die Idee, bald schon den eigenen Wein zu saufen, beflügelte uns. In einer alternativen Buchhandlung bestellten wir aus dem Katalog der lieferbaren Bücher eines, das hieß: „Die Arbeit im Weinberg.“

Der Titel versprach uns genau die richtigen Antworten auf unsere Fragen: wie man die Reben schneidet, bindet und behandelt. Doch statt eines praktischen Ratgebers händigte uns der Buchhändler zwei Wochen später ein Bilderbuch für Kinder aus, erschienen in einem christlichen Verlag. Es handelte vom Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, jener Bibelgeschichte also, nach der ein Weinbergbesitzer seine Arbeiter am Abend alle gleich bezahlte, egal ob sie nur eine Stunde oder den ganzen Tag für ihn geschuftet hatten.

Im Nachhinein muss ich sagen: Dieses Kinderbibel-Bilderbuch war hilfreicher als jedes Lehrbuch. Denn derjenige von uns, der über das Jahr hinweg am wenigstens gearbeitet hatte, konnte, wenn es um die Aufteilung der Weinflaschen ging, immer auf das Büchlein deuten und sagen: „So machen wir’s auch: Jeder bekommt gleich viel, egal wie viel er gearbeitet hat.“ Derjenige war nicht selten ich.

Die studentische Weinbaugenossenschaft hat sich irgendwann aufgelöst, der Weinberg verwilderte. Doch vor drei Jahren war die Idee vom eigenen Wein auf einmal wieder da. Die neuen Mitwinzer haben inzwischen graue Haare, einen angesehenen Beruf und zeigen mehr Engagement als die Studenten von damals. Auf den steilen Terrassen muss alles von Hand gemacht werden, ohne Maschinen. 200 Stufen den Berg hinauf, 200 Stufen hinunter. Es ist kein großes Weingut wie Graf Adelmann es hat. Auch keine Massenanlage wie in Rheinhessen. Der Ertrag der knapp 1.000 Rebstöcke reicht nach der gerechten Aufteilung gerade aus, um mir jeden Tag eine Flasche zu gönnen. Eine Flasche Wein am Tag sei gesund, hat mir ein Arzt gesagt. Vor allem, wenn er selbst produziert ist.

Jeder Mensch sollte irgendein Lebensmittel selbst produzieren. Und sei es eine Cocktailtomate im Balkonkasten. Wir verlieren sonst den Respekt vor dem, was wir essen und trinken. Ein Wein, für dessen Erzeugung ich fast ebenso viel Schweiß vergossen habe, kann gar nicht schlecht schmecken. Für mich hat dieser Wein 100 Parker-Punkte, Höchstmarke auf der weltweit berühmten Weinskala. Manche behaupten: Mein Wein hätte einen komischen Geschmack, er rieche leicht nach Aceton. Ich sage: Der beste Wein ist immer der, den man selbst macht.

Vergangenen Sonntag hatte ich ein paar Freunde eingeladen, die bei der Lese und beim Schnitt der Reben mitgeholfen haben. Ich hatte einen Ochsenschwanz 16 Stunden lang bei 80 Grad im Backofen und im eigenen Wein gegart.

Es ist ja immer die Zeit. Wer hat schon 16 Stunden Zeit zu kochen? Wer hat schon drei Jahre Zeit, seinen Wein zu machen? Man muss sich diese Zeit irgendwoher stehlen. Vom Schlaf, von der Frau, von der Freundin: Im Sommer um 5 Uhr aufstehen, um vor der Arbeit noch drei Stunden in den Weinberg zu gehen.

Zutaten für acht Personen:

ein kompletter Ochsenschwanz (wiegt etwa zwei Kilo)

drei Zwiebeln

fünf Möhren

eine kleine Knolle Sellerie

drei Stangen Sellerie

zwei Liter Wein

ein Liter Fond

0,2 Liter Noilly Prat

50 Gramm Tomatenmark

Butterschmalz

Das Fleisch in einem großen Bräter kräftig in Butterschmalz anbraten und herausnehmen. Das klein gewürfelte Gemüse anrösten und das Tomatenmark zugeben. Wenn alles Röstfarbe angenommen hat, das Fleisch wieder zugeben und nochmals etwas braten. Dann mit Noilly Prat ablöschen (geht aber auch mit Wein). Einkochen lassen und mit Wein und Fond auffüllen, bis das Fleisch ganz bedeckt ist. Aufkochen und mit geschlossenem Deckel in den Backofen stellen. Bei 80 Grad 16 Stunden garen, hin und wieder umrühren. Anschließend nochmals 2 Stunden bei 120 Grad schmoren. Fleisch herausnehmen und vom Knochen lösen. Sauce durch ein Sieb streichen und zum Fleisch geben. Dazu passen Kartoffelbrei oder Semmelknödel.

Den Ochsenschwanz werfen die meisten Metzger zu den Schlachtabfällen. Das hat er nicht verdient. Er zählt zu den besten Schmorteilen des Rinds, wie die Backen oder die Schulter. Ich hatte den Ochsenschwanz bei meinem Biometzger bestellt.

Um dieses Gericht hinzubekommen, muss man nicht kochen können. Man muss nur Zeit haben. Schmoren, nur als Warnung für die, die in die Hölle kommen, ist langsames Garen bei niederer Temperatur. Meine Gäste kommen dagegen in den Himmel. Denn sie haben mir geholfen. Barmherzigkeit muss belohnt werden.

Wir saßen bis nach Mitternacht und kamen vom Rotwein auf die grün-rote Koalition in Stuttgart zu sprechen und einer stellte die These auf, dass AfD-Wähler in ihrer Mehrheit Biertrinker seien. Dass also in Gegenden, wo Wein wächst, die Zahl der Ausländerfeinde geringer sei.

Eine steile These, der sofort widersprochen wurde. Das Elsass sei eine Hochburg der Front National. Wir kamen zu keinem Ergebnis, und auch, dass ausgerechnet die Weinkönigin aus Sachsen den Namen Undeutsch trägt, ließ uns eher ratlos auseinandergehen.

Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über seinen offenen Sonntagstisch. Außerdem im Wechsel: Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere AutorInnen kochen gemeinsam mit Flüchtlingen.