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Beunruhigendes Date mit der Zukunft

THEATER Interaktiv In „Blind Date: Mensch 2.0“ fragt der Oldenburger Regisseur Winfried Wrede nach den Grenzen technischer Evolution und wirft den Zuschauer, zwischen virtueller und physischer Realität tanzend, in einen Strudel der Möglichkeiten

Wechselnde Rollen: „Blind Date: Mensch 2.0“  Foto: Stephan Walzl/Theater Wrede

Von Manuela Sies

Hinsetzen, Zurücklehnen und Aufsaugen ist an diesem Abend nicht drin. Das wird den Besuchern im Oldenburger Theater Wrede schon vor der Vorstellung im Foyer klar. Ja, Besucher. Nicht Zuschauer. Weil die Bezeichnung hier nicht passt: In Gruppen eingeteilt warten sie vor der Tür zur Theaterhalle auf Einlass und werden über die Verhaltensregeln informiert. Und darüber, dass sie gleich einen „Jahrmarkt der Möglichkeiten“ erkunden dürfen. Das hat etwas von einem Gruppenausflug ins Unbekannte.

Theatergründer und Regisseur Winfried Wrede wählt diesen Zugang ganz bewusst, um die Frage nach der Zukunft zu stellen. „Blind Date: Mensch 2.0“ thematisiert die schöne neue Technikwelt, die sich um den Menschen herum aufbaut. Es geht um Maschinen und darum, wie sie unseren Alltag erobern.

Denn da sind ja nicht nur sprechende Smartphones. Da sind auch Roboter, die uns schon heute in Industrie, Hotellerie und Medizin zur Hand gehen. Maschinen, die dem Menschen äußerlich immer ähnlicher werden und mit ihm interagieren.

Sie stehen für die Zukunftsvision vom Cyborg, der Verschmelzung zwischen Technik und Mensch. Welche Auswirkungen hat das auf den Menschen? Wer beherrscht hier eigentlich wen? Beziehungsweise: Was macht den Menschen so einzigartig? Und ist er der Entwicklung wirklich blind und machtlos ausgesetzt?

Wrede konfrontiert sein Publikum sehr direkt mit diesen Fragen, statt sie nur auf einer Bühne zu präsentieren. Er schubst die Besucher förmlich in die Auseinandersetzung hinein, lässt sie von Alias in die Halle führen – einem Serviceroboter, der an eine riesige Spielfigur erinnert.

In der Halle dann verschmelzen Zuschauerraum und Bühne. Die Sitzreihen sind einem Jahrmarkt gewichen – traditionell auch ein Ort, an dem neue Technologien zur Schau gestellt wurden. Popcorn, Lichter und Musik locken hinein in eine bunt-heitere Technikwelt. Eine, die bevölkert ist von Menschen aus Fleisch und Blut, aber auch von echten wie gespielten Robotern und Cyborgs. Eine Welt, die zum Spielen und Entdecken einlädt.

Danach spaziert man in die Zukunftsstadt, die da anstelle der Bühne steht. Hier muss der Besucher zwischen Rollen und Realitäten hin- und hertanzen. Gerade noch im Videowalk als Medizin-Roboter unterwegs, der seinen Patienten von sich überzeugen muss, wird er bald in einem 3-D-Video zum Patienten, dem man einen Übersetzungschip in die Zunge implantiert.

Jede dieser Stationen, jede dieser Erfahrungen wirft mehr Fragen auf: Will ich das alles? Wissen die, was sie da tun? Ist ein Roboter auch ein Lebewesen?

Was zunächst als leichtes, zuweilen humorvolles Spiel der Möglichkeiten getarnt ist, entblößt immer stärker seinen skurrilen, existenziellen Charakter. Zweifel rühren sich – und Ängste. Die werden noch befördert durch die von Wrede eingebauten Performances. Darin preist die Vorhut des Fortschritts, die so genannte „vorletzte Instanz“, ihre Entwicklungen an. In einem dieser Segmente taucht etwa Roboter Nao auf. Gerade mal kniehoch ist er und präsentiert sich mit leicht gebeugten Beinen, jede Bewegung von Surren wie bei einem Spielzeugauto begleitet.

Was Nao tut, lässt die Besucher schmunzeln. Für die Dinge, die er sagt, erntet er Lacher. Süß finden sie ihn. Niedlich. Nao bedient einen Ur-Trieb zwischen Kindchenschema und Spielzeugliebe. Das geht solange gut, bis er fragt: „Und wenn ich mal so groß bin wie ihr? Habt ihr dann Angst vor mir?“ Für Sekunden hängt ein stummes „Stimmt“ über den Köpfen. Bis die „vorletzte Instanz“ seine Frage scheinbar stellvertretend für alle verneint.

Der Regisseur konfrontiert den Zuschauer ganz direkt und physisch mit der Frage nach der Gütetechnologischen Fortschritts, statt sie nur auf der Bühnezu verhandeln

Am Ende gibt’s dann theatrale Workshops zu den unterwegs aufgeworfenen Fragen. Diskutiert wird – je nach Gruppenkonstellation – aus Sicht der biologischen Menschen, Roboter oder Cyborgs. Austausch ist gefordert, immer wieder unterbrochen von neuen Performances. Allerdings, der Ton wird schärfer, der Austausch zur Debatte; es endet mit einem handfesten Machtkampf der Lebensformen.

Das ist ein gelungenes experimentelles, Rollen und Darstellungsformen hin- und herschiebendes Forschungstheater. Das Fehlen von Sitzreihen und Bühne ist Programm, das Publikum wird Teil des Stücks. Video- und 3-D-Technik lassen Fiktion und Realität verschwimmen. Diese Inszenierung ist – wie schon „Catkiller“ 2015 – kein Stück mehr, sondern viel mehr, weil es den Theaterraum zu einem überdimensionalen Versuchsfeld macht; Regisseur Wrede bleibt sich treu.

Manchmal droht das zu überfordern: Ständig gerät der Besucher ins Straucheln zwischen all den Zweifel und Fragen. Aber das ist gewollt, spiegelt es doch unser ganz reales Taumeln angesichts der rasanten technischen Evolution. In Wredes Inszenierung rettet da ein kurzes Durchatmen im Ruhebereich, einem Lagerfeuer in der Natur, aus der Eindrucksflut. Im realen Leben manchmal auch.

„Blind Date: Mensch 2.0“ spiegelt, aufwendig recherchiert, die Diskussion um den technischen Fortschritt. Zum Schluss fühlt man sich energiegeladen vom Miterleben und Ausprobieren. Aber auch irritiert und unsicher: Hat man wirklich alle Facetten des Stücks, des Themas erfasst? Ein gelungenes Experiment, das Ganze. Und eine Gratwanderung.

Nächste Vorstellungen: 4. + 5. 3., Theater Wrede, Oldenburg

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