: „Die Wohrheid is ned imma zumutbar“
Satire Lisa Eckhart verbreitet „Verstörungstheorien“, wenn sie auf der Bühne steht. Ihr Schmäh richtet sich scharfzüngig gegen populäre Scheinargumente und Ressentiments. Ihr Publikum wird stetig größer
von Christina Palitzsch
Aus dem Dunkel der Bühne erhebt sich eine blutleer wirkende Erscheinung auf 20 Zentimeter hohen Plateauschuhen, blickt stumm mit einem müden Lächeln auf das Publikum herab. Dunkle Kleidung, streng gescheitelte Haare und die vogelartige Gürtelschnalle unterstreichen den morbiden Look von Lisa Eckhart. Sie hält kurz inne, bevor ein tosendes Reimgewitter mit österreichischem Zungenschlag aus ihr herausplatzt: „Wenn der Mensch kein Feindbild wüsst’, wie wüsst’ er dann noch, wer er ist? Der Mensch ist nun mal Herdentier, und schwarze Schafe braucht die Herde, gefragt ist nur: Wen wählen wir, der schwarzes Schaf der Herde werde? Da sag ich: Wir diskriminiern die Kinder! Erklären sie zur schmutz’gen Minderheit unsrer Gemeinschaft und deklarieren ihnen Feindschaft. Na, warum: In seiner Ungerechtigkeit, die Diskriminierung stets begleit’, wär’ dies die gerechteste. Denn so ist jeder einmal dran, von 0 bis 10 Jahren jedermann Prügelknabe der Nation, und welches Kindlein stört das schon.“
Die 23-jährige Wortkünstlerin spielt mit vollem Körpereinsatz, mal freundlich, dann wütend und bitterböse, in einem Moment leise, kurz darauf mit angehobener Stimme und ausladender Gestik. Es ist die Katharsis einer aus den Fugen geratenen Realität. Eckhart verbreitet „Verstörungstheorien“, nutzt die immer gleichen Ressentiments gegen Faulheit, Fehlen von Sprachkenntnissen und kulturelle Verschiedenheit, um sie als Scheinargumente vorzuführen. Damit hinterfragt sie auch gesellschaftliche Übereinkünfte über Kinderliebe, Rassismus oder gesunde Lebensweise. Weder stereotype Frauenbilder, kirchliche Doppelmoral noch rechte Gesinnungstrottel sind vor ihrer scharfen Zunge sicher. Unter dem Slogan „Stift, Papier und Bühne und niemand wird verletzt“ erobert sich Eckhart ein wachsendes Publikum.
Gerade in Österreich habe sie es schwer gehabt, wuchs sie doch in einem Dorf auf, in dem am Wirtshausstammtisch der Zweite Weltkrieg nie verloren geglaubt war, wie sie sagt. Früh floh sie „aus der Enge cisleithanischer Alpen“. In Deutschland sei sie nun der gute Flüchtling, also nicht so ein Syrer, geflohen vorm Krieg, was sie, die Augen verdrehend, mit einem Schnalzen der Zunge kommentiert. Sie komme aus Österreich und befinde sich aus rein wirtschaftlichen Gründen in Deutschland. „Das meng die Deudschn“, sagt sie mit unüberhörbarem Akzent. Sie habe zeitweise drei Arbeitsämter um Geld erleichtert, das österreichische, das französische und das deutsche. Erst als sie kürzlich das Neuköllner Jobcenter aus Versehen im Nerz betrat, sei alles aufgeflogen und man habe ihr die Bedürftigkeit nicht mehr abgenommen. Doch sei sie sich keiner Schuld bewusst: „Ich bin ja in keinem der Länder einem regelmäßigen Erwerb nachgegangen, gell?“, fügt sie süffisant hinzu. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen, die immer arbeiten wollten, wie sie schließlich resigniert feststellt.
Lisa Eckhart ist der fleischgewordene Schmäh. Doch nicht im Sinne oberflächlicher Freundlichkeit, die besonders den Wienern nachgesagt wird. Ihr Schmäh ist vielmehr ein schwarzer Humor voll versteckter Anspielungen, abgeleitet von dem mittelhochdeutschen Begriff smæhe, der für „Beschimpfung“ oder „verächtliche Behandlung“ steht. Kein Wunder also, dass sie letztes Jahr in Ludwigsburg eine Totenkopftrophäe dafür ergatterte, dass sie in Klaus-Kinski-Manier beim „Dead or Alive“-Slam an grund- und bodenloser Wut alle anderen übertraf. Wegen ihres trockenen schwarzen Humors, der nicht selten die Seichtheit menschlicher Existenz aufdeckt und irgendwo zwischen Josef Hader, Ulrich Seidl und Charlotte Roche verortet werden kann. Ihre literarischen Vorbilder seien Elfriede Jelinek, Goethes Faust und der absurde Humor der Russen.
Die außergewöhnliche faustische Bühnenerscheinung Lisa Eckhart wirkt wie eine Kunstfigur, doch sie selbst weist das entschieden von sich. Gelassenheit und Natürlichkeit seien einfach nicht ihr Thema, sie sei privat genauso. In ihren Bühnenauftritten nehme sie sich sogar noch zurück, denn, so sagt sie, das Zitat von Ingeborg Bachmanns abwandelnd, die „Wohrheid is ned imma zumutbar“. Nun ist sie mit ihrem ersten Soloprogramm, „Als ob Sie Besseres zu tun hätten“, unterwegs und arbeitet an zwei Büchern, von denen eines im Herbst erscheinen soll. Die Intensität der Texte und die Radikalität ihrer Inhalte nahmen im letzten Jahr deutlich zu. Sicher ist, dass wir von der selbst ernannten „experimentellen Züchtung der österreichischen Alpen“ noch so einiges zu hören bekommen werden.
Am 1. 3. ist Lisa Eckhart beim Kreuzberg Slam zu hören. Lido, Cuvrystr. 7, 20.30 Uhr. 6 Euro
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