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Heiner Müller als Cyborg und als Puppe

Theaterfestival Am HAU entwickeln Künstler*innen in Performances, Installationen und Konzerten rund um Positionen des Dramatikers Heiner Müller einen Zugang zum Verhältnis von Zukunft und Vergangenheit

von Julika Bickel

Acht Telefone stehen bereit, um mit einem Toten zu kommunizieren: Heiner Müller, der 1995 im Alter von 66 Jahren gestorben ist. Oder besser gesagt: mit einem Cyborg, den das Theaterduo Interrobang aus O-Tönen des Dramatikers erschaffen hat. Drückt man den Startknopf am Telefon, stellt sich eine Figur mit dem Namen Heiner Müller vor: „Ich bin kein Mensch mehr, sondern eine Menschmaschine.“

Interrobang hat das Müllermaterial manipuliert und die Audioschnipsel zu einer Müllermatrix neu zusammengebastelt. Eine künstliche Heiner-Müller-Intelligenz, unsterblich und gefangen im System, scheint mit einem zu sprechen: „Wie wollen wir anfangen? Mit dem Theater, dann wähle die 1. Mit der Festung Europas, dann wähle die 2. Oder mit der Ökonomie, dann wähle die 3.“ Befremdlich und faszinierend ist diese Form der Kommunikation.

Die Tische mit den Telefonen, Leselampen und Notizblöcken stehen derzeit im HAU2. Vom 3. bis 13. März veranstaltet das HAU das Festival „Heiner Müller!“: Performances, Installationen, Gespräche und Konzerte, die über Müllers Positionen versuchen, einen neuen Zugang zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu finden. Erfrischend ist, wie spielerisch sie mit dem Müller-Material umgehen. Durch diese Freiheit ufert das Ganze allerdings auch ein wenig aus.

Das Programm ist umfangreich und viele der Projekte tendieren dazu, sich mit Texten und Gedanken zu überfrachten. Zur Verteidigung: Der Dramatiker hat uns bis heute viel zu sagen. Er schrieb nicht nur Theaterstücke, sondern auch Prosa, Lyrik und Essays.

Der Mann mit dem hageren Gesicht und der schwarz umrahmten Brille, die Haare zurückgekämmt und stets mit Zigarre in der Hand, war in den Medien sehr präsent. In Interviews zeichnete er die Geschichtslinien des 20. Jahrhunderts ab. Müller erkannte gesellschaftliche Entwicklungen oft früher als andere, indem er Zukunft aus Vergangenheit ableitete: „Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen.“ Kurz nach der Wende prophezeite Müller „neue Mauern“, die sich inzwischen als Außengrenzen der EU bewahrheitet haben. Er sagte eine Zeit voraus, in der Erfahrungen aus der Vergangenheit vergessen würden: „Was jetzt passiert, ist die totale Besetzung mit Gegenwart“ wurde zum Motto des Festivals.

Eine Kamera ist auf das Publikum gerichtet. Man sieht sich selbst auf einer Leinwand. Das Bild wird mit Szenen aus dem Stummfilm „Metropolis“ verschnitten. Menschen, die an einer Maschine arbeiten. Alle im Gleichschritt. Vor der Leinwand sitzen eine Darstellerin und zwei Darsteller an einem Tisch mit einer Heiner-Müller-Puppe. Sie tragen Brillen, auf die Augen geklebt sind, die einen anstarren. „In Deutschland wird nicht geblinzelt“, sagt die Frau.

Die Gruppe andcompany&Co greift Müllers Thesen auf und arbeitet sich in Assoziationsketten voran. Unheimlich und komisch wirkt das Zukunftsspektakel „2045: Müller in Metropolis“. Eine Schauspielerin spielt auf einer geometrischen Figur Schlagzeug. Man hört elektronische Stimmen und Klänge. Ein riesiger Müller-Kopf erscheint auf der Leinwand. In dem Stück wird Müller als Geist im Jahre 2045 hochgeladen – dem Jahr, in dem laut dem Cybervisionär Ray Kurzweil die Intelligenz der Maschinen die der Menschen übertrumpft. „Die Hochzeit von Mensch und Maschine“, von der Müller auch oft sprach. Der Digital-Prophet mahnte vor einem Technologieeinsatz, der gesellschaftlich nicht kontrollierbar sei. andcompany&Co erinnern an die sozialistischen Ursprünge von Big Data. „Access for all!“

Erfrischend ist, wie spielerisch sie mit dem Müller-Material umgehen

Kein Held, kein Optimismus

Der Regisseur Hans-Jürgen Syberberg thematisierte in seiner Installation „Für Heiner Müller“ ein Geschichtsereignis, das ihn mit Heiner Müller verbindet: die „demokratische Bodenreform“, also die Enteignung der Großgrundbesitzer in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949. Syberberg war der Sohn eines solchen Gutsbesitzers in Mecklenburg. 2001 hat er das Anwesen zurückgekauft.

Heiner Müllers Drama „Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande“ zeigte in seinem Bauernstück schonungslos die Korruption in der DDR auf. Kein Held, kein Optimismus. Die Funktionäre ertrugen Müllers realistischen Blick nicht und schlossen ihn aus dem Schriftstellerverband aus. Seiner Frau empfahlen sie, sich von ihm scheiden zu lassen. Das Theaterstück wurde noch in der Nacht nach der Uraufführung im Jahr 1961 verboten.

Syberbergs begehbare Installation füllt den Saal und verkreuzt auf originelle Weise Synderberg- mit Müller-Material. Auf der Bühne liegt Heu aus der Scheune des Gutshofs. Überall stehen Fernseher, die stundenlanges Material zeigen: Interviews, eine hitzige Podiumsdiskussion, Probenaufnahmen, einen Gang durch den Gutshof. Synderberg porträtiert Müller durch seine Filmauswahl als einen mutigen Schelm, der seine Gelassenheit nie verlor.

Programm auf www.hebbel-am-ufer.de

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