piwik no script img

Auf dem Traumschiff ohne freien Tag

SCHWIMMENDE HOTELS Weil Kreuzfahrten boomen, suchen Reeder ständig Personal für die Knochenjobs an Bord. Viele Bewerber haben jedoch falsche Vorstellungen von der Arbeit auf dem Schiff

von Joachim Göres

Ein halbes Jahr arbeiten ohne einen freien Tag, bis zu 14 Stunden täglich und für weniger als 2.000 Euro monatlich – das klingt nicht nach einem Traumjob. Und doch lockt die Arbeit auf einem Kreuzfahrtschiff gerade junge Leute an, die dabei die Welt kennenlernen wollen. „Nicht alle Interessenten haben realistische Vorstellungen“, sagt Daniela Fahr, Geschäftsführerin der Connect World Wide Recruiting Agency aus Bremerhaven. Sie organisierte kürzlich in Hannover den „Cruise Recruiting Day“, auf dem sich unter anderem Köche, Kellner, Kosmetiker oder Barkeeper bei 16 Reedereien aus Europa und den USA bewarben. Auch Branchenfremde haben laut Fahr Chancen, wenn sie gut mit Menschen umgehen können und Englisch beherrschen.

Für Ann-Cathrin Ulrich ist die Qualifikation kein Problem. Die 20-Jährige hat ihr Studium Hotel- und Tourismusmanagement abgeschlossen und will ab Juni für sechs Monate als Rezeptionistin auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten. „Wer dort zurechtkommt, hat danach bessere Aussichten auf eine gute Stelle im Hotelmanagement. In den nächsten Tagen werde ich mich für ein Angebot entscheiden“, sagt Ulrich. Nach der Bezahlung hat sie sich in Hannover gar nicht erkundigt.

„Unter 1.500 Euro festes Gehalt fange ich nicht an“, sagt dagegen Carlo Marques. Der gelernte Hotelfachmann ist seit vier Jahren mit Kreuzfahrtschiffen auf hoher See. Sechs Monate arbeiten, zwei Monate unbezahlte Pause, dann geht es wieder los. Mit Trinkgeld kommt er auf monatlich etwa 2.000 Euro. Als Kellner hatte der 25-Jährige kaum Gelegenheit für einen längeren Landgang – zuletzt als Shop-Verkäufer gab es schon mal zwei Tage frei. Nach diesem Jahr soll aber Schluss mit der Arbeit an Bord sein. „Enge Kontakte kann man nicht halten, wenn man ständig weg ist“, sagt Marques.

Chris Schädel hat in Bremerhaven Internationales Kreuzfahrtmanagement studiert und arbeitet seitdem als Personalverwalter an Bord – er ist für Gehaltsabrechnungen und Visa-Anträge zuständig und erster Ansprechpartner für neue Crewmitglieder. Eine der häufigsten Fragen, die er dabei hört, ist: „Habe ich am Wochenende frei?“ und „Was, ich muss heute noch arbeiten?“

Karin Borgas aus Hannover ist seit fünf Jahren auf Donau, Rhein und anderen großen Flüssen mit Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Als Cruise Director organisiert sie das Unterhaltungsprogramm. „Ich bin der erste Ansprechpartner für die Gäste. Feierabend gibt es eigentlich nie. Das Handy muss man immer angeschaltet dabei haben.“ Von November bis März fahren auf den Flüssen keine Kreuzfahrtschiffe – deswegen will die gelernte Speditionskauffrau im kommenden Jahr erstmals auf einem Hochsee-Kreuzfahrtschiff anheuern. „Ich will noch mal eine neue Erfahrung machen. Wenn ich zu Hause bin, dann fehlt mir die Arbeit an Bord. Es macht mir Spaß, Gastgeber für andere Menschen zu sein“, sagt die 44-Jährige.

Holger Schröder sucht als Geschäftsführer des Personaldienstleisters Gebr. Heinemann aus Hamburg Personal für ein neues Kreuzfahrtschiff, das den Gästen in den Boutiquen Schmuck, Textilien und Kosmetika verkauft. „Es gibt an Bord klare Regeln für die Crew wie Verbot von Alkohol, Tabak, Drogen und Partys in den Kabinen. Das ist für jüngere Bewerber oft ein Problem“, sagt Schröder. Eine Altersobergrenze bestehe nicht: Auf Schiffen mit älterem Publikum hätten auch 60-jährige Verkäuferinnen eine Chance, wenn sie mit Stress umgehen könnten und körperlich fit seien.

Im Jahr 2014 waren 22 Millionen Menschen mit Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Tendenz steigend. Weltweit gibt es 300 schwimmende Hotels mit 450.000 Betten und 285.000 Mitarbeitern. In Hamburg kamen im vergangenen Jahr 525.000 Kreuzfahrtpassagiere an, in diesem Jahr rechnen Experten mit 650.000 Gästen.

Dicke Luft

Der Boom der Branche stößt nicht überall auf Beifall.

Kreuzfahrtschiffe fahren auf hoher See mit Schweröl. Bei der Verbrennung werden giftige Abgase freigesetzt. „Aus gesundheitlichen Gründen ist zurzeit auf keinem Kreuzfahrtschiff Urlaub ratsam“, sagt der Chemiker und Umweltexperte Axel Friedrich, Beiratsmitglied des Verkehrsclubs Deutschland.

Und auch aus einem anderen Grund sollte man lieber nicht mit einem Kreuzfahrtschiff reisen: Es verursacht pro Person und Kilometer 300 Gramm an Treib­hausgasen.

Der Reisebus (30 Gramm), die Bahn (43 Gramm), der Pkw (139 Gramm) und selbst das Flugzeug (196 Gramm) schneiden deutlich besser ab.

An Bord herrscht bei den Beschäftigten eine Mehrklassengesellschaft: Für einfache Tätigkeiten wie das Geschirrspülen werben Reedereien Personal in Asien und Südamerika zu niedrigen Heuern an. Sie müssen sich monatelang häufig zu viert eine kleine Kabine teilen. Europäischen Servicemitarbeitern wird mindestens eine Zweierkabine geboten, die Stellen setzen meistens eine Ausbildung oder Berufserfahrung voraus.

Wer auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten will, muss vorher an einem Sicherheitstraining teilnehmen. 2015 haben 2.600 Servicekräfte so ein viertägiges Training beim Aus- und Fortbildungszentrum Rostock absolviert. Dazu gehören das Anlegen von Rettungsanzügen und Rettungswesten sowie Seenotübungen im Wasser. „Schwimmen muss man nicht können“, sagt AFZ-Ausbilder Dirk Wegner. Eine spezielle Fortbildung vor dem Dienst auf einem Kreuzfahrtschiff gibt es nicht.

Klaus Schroeter ist Bundesfachgruppenleiter Schifffahrt bei der Gewerkschaft Ver.di. Er handelt im Auftrag der Internationalen Transportarbeiter Federation mit Arbeitgebern wie Hapag Lloyd oder Tui die Tarife für Servicemitarbeiter auf Hochsee-Kreuzfahrtschiffen aus. Die beginnen bei 1.150 Euro monatlich für Gelernte, bei freier Kost und Logis. Innerhalb von 24 Stunden muss zehn Stunden pausiert werden, diese Ruhezeit darf einmal unterbrochen werden. Die Probezeiten liegen zwischen einem und drei Monaten an Bord – nicht alle bestehen sie. Schroeter beobachtet einen wachsenden Preiskampf zwischen den Kreuzfahrtschiffbetreibern, der auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird: „Es werden immer mehr Ungelernte eingestellt, um die Lohnkosten zu drücken. Und bei der Flusskreuzfahrt weigern sich die Reeder, Tarifverträge abzuschließen. Dort herrschen oft Wildwest-Methoden.“

Letztlich entscheidet das Trinkgeld darüber, wie viel Geld für das Personal zusammenkommt. Wenn das Schiff nicht ausgebucht ist, fällt die Summe niedriger aus. Einzelne Reedereien fordern eine bestimmte Trinkgeldhöhe von den Passagieren bei Vertragsabschluss ein – mit Klauseln wie „Sie haben jedoch die Möglichkeit, den Betrag erhöhen, reduzieren oder stornieren zu lassen“. Daniela Fahr, die selber viele Jahre auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet hat, weiß aus Erfahrung: „Deutsche Gäste sind eher knauserig und ziehen manchmal Geld ab. Australier und US-Amerikaner sind viel großzügiger.“ Aus Deutschland kamen 2014 rund 1,8 Millionen Reisende – nur Urlauber aus den USA unternehmen mehr Kreuzfahrten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen