Grundeinkommen und Flüchtlinge: Haben, Sein und Beten
Wir retten die Welt
von Hannes Koch
In dem Flüchtlingswohnheim, in dem ich Deutschunterricht zu geben versuche, hängt an der Klassentür eine Liste mit wichtigen Wörtern. Der sprachliche Erste-Hilfe-Kasten. An erster Stelle: „Mein Name ist …“, „Ich komme aus …“. Nummer zwei: das Verb „beten“.
Das gibt mir zu denken. Soll ich meinen Lehrplan ändern und den Grammatikunterricht beginnen mit: Ich bete, du betest, wir beten? Sonst fange ich an mit: Ich habe, du hast, sie hat, eine Wohnung, eine Arbeit. Meine intuitive Auswahl des ersten zu lernenden Verbs könnte auf einen fundamentalen kulturellen Unterschied hindeuten. Hier: Haben oder Sein. Dort: Haben oder Beten?
Nach den Attacken von Köln an Silvester habe ich überlegt, ob ich jedem Schüler eine knappe Gebrauchsanweisung für Deutschland auf den Tisch lege: Alle genießen hier den gleichen Respekt und gleiche Rechte. Wer dagegen verstößt, wird bestraft. Man darf Gott kritisieren. Mehr Grundsätze braucht es nicht. Ich beschließe, im Unterricht bei „haben“ zu bleiben.
Denn worum geht es bei uns? Wer betet, macht kein Aufhebens davon. Haben, besitzen, kaufen sind Tätigkeiten mit viel größerer gesellschaftlicher Bedeutung. Ich will das nicht rechtfertigen, sondern beschreiben. Deshalb sollten diese Verben oben auf der Liste stehen: Kernbegriffe der Marktwirtschaft, in die sich die Flüchtlinge integrieren sollen.
In unserem Flüchtlingswohnheim zeigt sich, wie ökonomisches Ankommen funktioniert. Den Sicherheitsdienst stellen stämmige, etwas maulfaule, trotzdem höfliche Muskelmänner, die nicht nur Deutsch, sondern auch bestens Arabisch sprechen. Ihre Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Beirut. Die Putzkolonne besteht aus Afrikanern, die in Ghana, Senegal oder Burkina Faso aufgewachsen sind. Und bald sollen die ersten Flüchtlinge aus dem Haus als Bufdis („Bundesfreiwilligendienst“) auf Hartz-IV-Niveau angestellt werden. Dann haben sie ihren ersten bezahlten Job in Deutschland. Eine sehr gute Idee von SPD-Frau Andrea Nahles.
Vom Chef abgesehen verdienen wir Deutsche hier im Haus als Ehrenamtliche kein Geld. Wir geben Kleider und Essen aus und bringen Deutsch bei. Unsere Arbeit muss nicht entlohnt werden, schließlich leben wir von was. Von was. frage ich mich tatsächlich, wenn ich mir einige meiner Kollegen ansehe.
Dabei fällt mir eine alte Idee wieder ein: bedingungsloses Grundeinkommen. Die Flüchtlinge könnten arbeiten, Lohn verdienen, Steuern zahlen. Daraus erhalten wir, die wir nach 200 Jahren Industrieller Revolution und Produktivitätssteigerung müde sind, das Grundeinkommen, das es uns ermöglicht, die Neuankömmlinge mit viel Zeit und Ruhe hier einzuführen. „Träum weiter“, denke ich dann: So viele Einwanderer, dass das Geld dafür reicht, werden nie kommen. Trotzdem eine anregend Vorstellung. Zwei meiner Schüler sind übrigens Journalisten aus Kairo. Vielleicht könnte einer von denen solche Artikel hier schreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen