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Die Realität als Bastelarbeit

werkschau Der philippinische Autorenfilmer Kidlat Tahimik erzählt mit jeder Geschichte zugleich über die Bedingungen ihrer Produktion. Tobias Hering und Tilman Baumgärtel würdigen ihn mit einer Reihe im Arsenal

Filmstill aus „Der parfümierte Alptraum“ von Kidlat Tahimik Foto: Arsenal Institut

von Fabian Tietke

Die Filme von Kidlat Tahimik durchzieht eine Kombination aus liebevoller Tüftelei, reflektiertem Einsatz filmischer Mittel und gewitzter Unterwanderung einer eurozentrischen Geschichtserzählung. Sie sind geprägt von etwas, das (anders als in der Nische des Kurzfilms) bei Langfilmen immer rar war: einer vollkommen eigenständigen Ästhetik, die nie in Idiosynkrasie umschlägt – und dabei noch ausgesprochen unterhaltsam daherkommt.

Es gelingt Tahimik, die Normierungen der Bildsprache im Kino sichtbar zu machen und zugleich zu unterlaufen. Das klingt womöglich nach dem großkopferten Kino eines entlegenen Autorenfilmers. Ein Autorenfilmer ist Kidlat Tahimik, den die Berliner Filmforscher Tobias Hering und Tilman Baumgärtel im Arsenal präsentieren, tatsächlich – verkopft aber nicht.

Der Debütfilm des philippinischen Filmemachers, „Der parfümierte Albtraum“, wurde nach der Vorführung im Forum der Berlinale 1977 schnell international zu einem Meilenstein des unabhängigen Films. Sein neuester Film, „Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux III“, feierte nach 35-jähriger Produktionsgeschichte letztes Jahr auf der Berlinale Premiere und startet nun parallel zur Filmreihe in deutschen Kinos.

Flackernde Bilder, begleitet vom Knattern eines Filmprojektors, zeigen da einen Mann bei Verrichtungen in einer tropischen Landschaft. Wenig später erklärt ein Off-Kommentar, dass wir uns in der Zeit kurz nach der Weltumsegelung durch den portugiesischen Entdecker Ferdinand Magellan befinden. Wir sehen Magellans ehemaligen Sklaven Enrique Melaka auf dem Weg zurück in sein Heimatdorf. Wenig später wird Melaka von einem Wildschweinmodell auf einen Baum getrieben und verteidigt sich mit einer ur­phi­lippinischen Waffe: dem Jojo.

Balikbayan #1“ verwebt Material aus einem Anfang der 1980er Jahre geplanten, aber schließlich gescheiterten Historienfilm über die Geschichte Melakas (die meist nur eine Fußnote zur Heldengeschichte Magellans ist) mit später entstandenen Bildern der heutigen Philippinen zu einem epischen Metafilm über die Bedingungen des postkolonialen Filmemachens. Die Elemente aus dem Historienfilm markieren eine Position, die an den bolivianischen Vertreter des Dritten Kinos der 1970er Jahre, Jorge Sanjinés, und an den historischen Schmugglerfilm „Les Chants de Mandrin“ des französischen Filmemachers Rabah Ameur-Zaïmeche erinnert.

Die Elemente der zitierten Anfangssequenz aus Balikbayan #1“ finden sich in weiteren Filmen Tahimiks: Das Jojo ist zentraler Angelpunkt des bayerisch-phippinischen Science-Fictions-Films „Who invented the Yo-Yo? Who invented the Moon Buggy?“ von 1982, in dem sich Tahimik, angeregt von der Architektur bayerischer Zwiebeltürme, mit Zwiebelkraft auf eine Mondmission begibt. Tiermodelle wie das Wildschwein finden sich in „Turumba“, dem einzigen Film Tahimiks, in dem der Regisseur nicht selbst auftritt. Der Film ist die Unterwanderung einer ethnografischen Studie über ein philippinisches Dorf, das von der Herstellung von Pappmaché-Tiermodellen lebt.

Ein Dorfbewohner arbeitet einen Mercedes-Stoßdämpfer zu einer Machete um

Filme, die überlebten

Ein deutscher Geschäftsmann spannt das Dorf zur Produktion von Maskottchen für die Olympischen Spiele 1972 in München ein. Die Spuren der Globalisierung durchziehen den Film in jede Richtung: Zu Beginn arbeitet einer der Dorfbewohner einen Mercedes-Stoßdämpfer zu einer Machete um.

Die Werkschau ergänzt das Werk Tahimiks unter anderem um einige der wenigen über­lebenden Filme der philippinischen Filmgeschichte wie Carlos Vander Tolosas Film „Giliw Ko“ (die Geschichte eines Jazz singenden Geschwisterpaars, das in Manila sein Glück versucht) von 1939, Manuel Condes „Ghengis Khan“ (eine virtuos erzählte Dschingis-Khan-Geschichte) von 1950, Lamberto Avellanas „A Portrait of the Artist as Phi­lippino“ (die Geschichte eines alternden Malers, der sich in seinem Atelier in Manila gegen die Welt verschanzt) von 1965.

Kosmos und Alptraum: Die Filme von Kidlat Tahimik, Kino Arsenal, bis 20. März, zahlreiche Vorführungen in Anwesenheit von Kidlat Tahimik

„Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux III“, Philippinen 2015, Kinostart am 10. März 2016

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