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Die ganze Welt ist Oklahoma

THEATER Alize Zandwijk begeistert am Goetheplatz mit dem preisgekrönten US-Drama „Eine Familie“ – und zeigt den Horror gelebter Familienpraxis

Unzurechnungsfähigkeit hält das Stück paradoxerweise zusammen

Fast jede Trauerfeier kommt irgendwann an diesen Moment: wenn die Anspannung sich löst, der Schmerz noch nicht überwunden, aber kanalisiert ist; wenn zum ersten Mal gelacht wird, obwohl doch eigentlich gar nichts lustig ist. Und eben so ein Augenblick ist seit Freitag im Theater am Goetheplatz zu erleben. Volle drei Stunden hält er an – und ist dabei keine einzige Minute langweilig.

Etwas zu lachen hat in „Eine Familie“ von Tracy Letts allerdings nur das Publikum. Die Witwe des frisch Verstorbenen, ihre Töchter und deren Anhänge sind mit einem Familienkrieg beschäftigt, der sich gewaschen hat. Alize Zandwijk hat den US-amerikanischen Stoff in Osage County belassen, einer einsamen Region in Oklahoma, mit einer Bevölkerungsdichte, die selbst von Brandenburgs gerade mal ein Zehntel ausmacht.

Doch „die Prärie“, heißt es, sei sowieso eher „ein Geisteszustand“ als eine geographische Bestimmung – eine Leere, in der allein die in zig Konflikte zerfaserte Familie existiert. Genial aufgegriffen wird das von Thomas Rupperts Bühnenbild: Die Farm ist ein blauer Trichter, der sich nach hinten verengt. Dort am Fluchtpunkt kauert die Mutter, zu der man bergauf steigen muss, von der man abwärts angeschlagen schwankend zurück kommt. Sie sitzt an diesem monströsen Hörrohr, kennt alle Geheimnisse und hat doch nichts unter Kontrolle.

Die von Verena Reichhardt hinreißend beklemmend dargestellte Unzurechnungsfähigkeit hält das Stück paradoxerweise zusammen: Nie ist eindeutig aufgelöst, ob da gerade echte Boshaftigkeit spricht, oder ob ihre Tablettensucht sie im Griff hat. So können auch die Töchter kaum auf Abstand gehen, während ihre eigenen Beziehungen vor die Hunde gehen.

Die Herausforderung, das komplexe Beziehungsgeflecht zu entzerren, gelingt, weil die Besetzung nicht nur ausnahmslos hervorragend spielt, sondern all den auf je eigene Weise Gestörten Einzigartigkeit und Würde verleiht.

Wie bereits in Zandwijks Inszenierung von Tschechows „Kirschgarten“ musiziert am Bühnenrand die niederländische Singer-/Songwriterin Maartje Teussink. Meist passiv spielt sie die indianische Haushälterin. Ihre Eltern sind bereits tot, in einem Amulett trägt sie ihre Nabelschnur. Und auch wenn es hierzulande kaum Indianer gibt, bleibt das doch universell wahr: Ein gesunder Fetisch ist manchmal besser als unfreiwillig gelebte Sippschaft.

Jan-Paul Koopmann

Termine: 2., 11., 17. und 26. März, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz

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