Proteststreik vor dem Präsidentenpalast

Argentinien Zehntausende gehen in der Hauptstadt gegen Massenentlassungen der Regierung Macri auf die Straße

Einer, der sich traut: Gewerkschafter protestiert in Buenos Aires Foto: Marcos Brindicci/reuters

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

Rund 50.000 Menschen haben am Mittwoch vor dem Präsidentenpalast in Buenos Aires gegen die Politik des neuen rechtskonservativen Präsidenten Mauricio Macri protestiert. Die Gewerkschaft der Staatsangestellten, Asociación Trabajadores del Estado (ATE), hatte zu einem Streiktag gegen die Entlassungswelle im öffentlichen Dienst aufgerufen.

Nach Angaben der Gewerkschaft wurden seit Macris Amtsantritt am 10. Dezember 2015 bisher 21.000 Beschäftigte entlassen – 8.000 bei der Zentralregierung, 13.000 in den Provinzen und Kommunen. Dort wurden 5.000 Entlassungen nach Protesten zurückgenommen. Die Regierung arbeitet mit anderen Zahlen: Sie hat lediglich 6.200 Entlassungen aus den Staatsdienst bestätigt,. Allerdings legte Modernisierungsminister Andrés Ibarra noch am Dienstag nach: Weitere 25.000 Entlassungen könnten in den nächsten Wochen hinzukommen, verkündete er.

Im Justizministerium, berichtet Gewerkschafter Gustav Romero am Mittwochmorgen auf dem Weg zum Protesttreffpunkt der Justizangestellten, hätten bislang rund 500 KollegInnen ihr Entlassungsschreiben erhalten. Bei einem Teil konnte die Gewerkschaft den Rauswurf verhindern, aber nicht bei allen. „Wir dürfen uns jetzt nicht einschüchtern lassen“, sagt Romero. Aber das ist schwer. „Die Angst geht um, viele Kollegen sind auf Weg zur Arbeit, statt zur Kundgebung zu kommen.“

So wie Alejandra Navarro. Die 40-jährige Angestellte beim Erziehungsministerium ist auf dem Weg zur Arbeit. Auch wenn in ihren Ministerium noch niemand entlassen wurde, ist es schlicht die Angst vor dem Rauswurf, die sie vom Marsch zur Plaza de Mayo abhält, sagt sie. „Seit 2009 wird mein Vertrag jährlich verlängert, zuletzt im November.“ Aber jetzt steht ihre Anstellung auf dem Prüfstand, da sei es besser, heute nicht zu fehlen.

Präsident Macri hatte Ende Dezember die Überprüfung aller Staatsangestellten per Dekret angeordnet, egal ob zur Kernbelegschaft gehörend oder mit Zeitverträgen ausgestattet. Bei der Kernbelegschaft geht es dabei angeblich um die Suche nach Unregelmäßigkeiten beim Einstellungsverfahren und Scheineinstellungen der Vorgängerregierung. Seither geht in Argentiniens öffentlichem Dienst die Angst um.

Dagegen wurden die Zeitverträge, die vor 2013 abgeschlossen wurden, zwar wie bisher üblich um ein Jahr verlängert. Eine erneute Verlängerung aber ist offen. Zeitverträge, die ab 2013 geschlossen wurden, wurden bereits jetzt stets nur um drei Monate verlängert. Wer fliegt oder bleibt, bestimmt der zuständige Abteilungsleiter. Ende März könnte es zu einer weiteren Entlassungswelle kommen.

„Die Angst geht um, viele Kollegen gehen zur Arbeit statt zur Kundgebung“

Luis Campos, Koordinator des Observatoriums der sozialen Rechte der CTA, sieht darin eine Strategie. „Man entlässt einige Tausend und schürt die Angst vor weiteren Entlassungen“, so Campos. Der Widerstand der Arbeitnehmer gegen die ökonomische Anpassungs- und Einsparpolitik der Regierung solle geschwächt werden, dem öffentlichen Dienst komme dabei die Vorreiterrolle zu.

Zwar habe es die prekären Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst schon unter der Vorgängerregierung gegeben, aber Macri habe in seinen ersten vier Regierungswochen einen regelrechten Entlassungsschock ausgelöst. „Das ist der qualitative Unterschied zwischen der Regierung von Cristina Kirchner und Macri“, sagt Campos.

Rechtzeitig vor dem Streiktag hatte die Regierung die Polizei im Umgang mit sozialen ­Protesten neu in Stellung gebracht. Zukünftig werden Straßenblockaden als Protestform nicht mehr geduldet. „Wer nach fünf Minuten die Straße nicht freimacht, wird geräumt“, erklärte Sicherheitsministerin Patricia Bullrich. Der Protesttag am Mittwoch verlief jedoch friedlich.