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Zwischen Horrorfilm und Sex im Schlafzimmer

Videokunst Der Bremer Förderpreis geht an zwei KünstlerInnen, die den alltäglichen Schrecken in Mexiko und Südafrika verarbeitet haben. Die Rolle der Gewalt ist für Beide fundamental

von Radek Krolczyk

Für die Verbindung von Kunst und Alltag sind in den vergangenen hundert Jahren verschiedene Strategien erprobt worden. Die Langweiligste mag dabei die schlichte Erklärung des Alltags zur Kunst sein. Die Spannendste ist vielleicht die Reflexion und Weiterentwicklung dieses Alltags mit künstlerischen Mitteln.

In den Arbeiten des in Mexiko geborenen Künstlers E.S. Mayorga wie auch der aus Südafrika kommenden Künstlerin Sharlene Khan vollzieht sich letztere Form der Vermittlung dieser beiden Pole. Die sehr unterschiedlichen Werke der beiden sind seit Ende letzter Woche in der Bremer Kunsthalle zu sehen.

Unterschiedlich, obgleich der alltägliche Schrecken den Ausgangspunkt der künstlerischen Arbeit beider bildet. Und etwas Selbsttherapeutisches haben diese Werke auch, wenngleich Mayorga mit Bildern des Horrors arbeitet, Khans Material hingegen beinahe meditativ erscheint. Beide Künstler haben einen international geprägten Werdegang: Mayorgas studierte in Mexiko und Braunschweig, heute lebt er in Wiesbaden. Sharlene Khan schloss ihr Kunststudium mit einer Promotion an der Londoner Gold­smiths Universität ab und lebt nun in Südafrika.

Gezeigt werden in der Kunsthalle in einer sehr gut inszenierten Schau die Gewinnerarbeiten des Bremer Videokunst-Förderpreises. Mayorga hat den ersten, Khan den zweiten Preis gewonnen. Die inzwischen 23 Jahre alte Ausschreibung gehört zu den wenigen, die es in Deutschland im Bereich der Videokunst gibt.

Gefördert werden Arbeitsvorhaben, die dann in den Preisausstellungen, wie nun in der Kunsthalle, gezeigt werden. Bewerben können sich in Deutschland lebende Künstlerinnen und Künstler. Zum ersten Mal ist eine Bremer Position unter den Siegern nicht verpflichtend. Über 23 Jahre wurde, einfach nur, weil man es musste, stets jemand aus Bremen für den zweiten Platz nominiert.

E.S. Mayorgas Art zu arbeiten, ist ganz unakademisch. Seit seinem 15. Lebensjahr besitzt der 1975 in Mexico City geborene Künstler eine Kamera, mit der er seinen Alltag dokumentiert. Diese Aufnahmen sind zentral in seiner auf mehrere Teile angelegten Filmarbeit „The Role of Fear“, von der er den zweiten Teil mit Hilfe des Preisgeldes realisieren konnte. Beide Teile sind in der Kunsthalle zu sehen.

Aus „Shivers“ hat er die Stelle ausgewählt, in der ein blutigroter Parasit aus dem Abfluss zwischen die Beine der Badenden krabbelt

Das autobiografische Material, das Mayorgas für die Arbeit ausgewählt hat, kreist um seine eigenen Schreckenserfahrungen. Er berichtet von einem seiner ersten Kinobesuche, bei dem er gemeinsam mit seinem Vater den Horrorklassiker „Shivers“ des Regisseurs David Cronenberg sah. Zwischen den selbst aufgenommenen, verwackelten Handkamerasequenzen, die Mayorgas Wohnung, seine kleine Schwester und ihn selbst beim Sex mit seinen Freundinnen zeigen, werden Szenen aus Horrorfilmen der 1970er- und 1980er-Jahre gezeigt. Mayorgas hat hierfür Stellen ausgewählt, in denen Momente von Schrecken und Sexualität miteinander verschränkt werden.

Aus „Shivers“ etwa hat er die Stelle ausgewählt, in der ein blutigroter, penisförmiger Parasit aus dem Abfluss einer Wanne zwischen die Beine der Badenden krabbelt. Anschließend hört man ihre Schreie und das Badewasser färbt sich rot. Natürlich ist hier eine Verschränkung von Vergewaltigung und Menstruation zu sehen, eine Verschränkung von inneren und äußeren Bedingungen zu bluten.

Solcherlei ambivalente Filmzitate finden sich in „The Role of Fear“ immer wieder. Interessant ist vor allem das Ineinandergehen privater und popularkinematografischer Erzählung. Denn in die Angst der Filmfiguren und ihr Ausgeliefertsein mischen sich eigene Erfahrungen, wie das plötzliche Verschwinden der jüngeren Schwester Ana. Mayorga macht das mexikanische Drogenkartell mit dem hier besonders seltsam wirkenden Namen „La Familia“ und die Bundespolizei dafür verantwortlich.

Durch dieses Verschwinden der Schwester kommt eine dritte Ebene in seine Arbeit: die Erforschung paranormaler Gesetze. Der Verlust ist für Mayorgas dermaßen irreal, dass er in der Welt des Irrealen nun auch außerhalb des Kinos nach Erklärungen sucht.

Hierfür macht er einige Selbstversuche, geht zur Hypnose, baut aus Plasteline Teufelsmasken, die er zu beeinflussen versucht und führt Interviews mit Parapsychologen. Dass das Unheimliche Teil des Alltags in Mexico City ist, hat er lange vor dem Unglück um seine Schwester bereits erfahren. Gleich zu Beginn seiner ersten Angst-Episode erzählt Ma­yor­gas, dass er selbst, bevor er Künstler wurde, als Kleinkrimineller mit einem Luftgewehr die Laternen ganzer Straßenzüge auspustete.

Die 1977 in Südafrika geborene Sharlene Khan inszeniert in ihrer Filmarbeit „When the Moon Waxes Red“ in einer ganz anderen Weise den Schrecken, auch den autobiografischen. Ihr Video zeigt eine im Wasser treibende Frauengestalt, mit lackierten Nägeln und bunten traditionellen Kleidern. Nach und nach werden unterschiedliche Fragmente dieser Person gezeigt: ihre von der Wasseroberfläche getragenen leblosen Hände und Füße, ihr dunkles Haar, dann und wann neben ihr eine halbe Kokosnuss, ein halbierter Apfel.

Zwischendurch sieht man die Hände der Künstlerin, die einen Rahmen um ein paar alte schwarzweiße Familienfotografien sticken. Es ist eine konzentrierte, vielleicht apathische Tätigkeit. In jedem Fall wohnen wir der Verarbeitung einer Familiengeschichte bei.

Was hat die Wasserleiche mit dieser Geschichte zu tun? In Südafrika komme es oft vor, dass Frauen durch Erhängen, Verbrennen oder eben Ertränken ihrem Leben in der pa­triarchalen Gesellschaft entkommen wollen, erfährt man hier. Im Hintergrund hört man Khans Stimme. Sie erzählt anhand der Geschichte ihrer Mutter von der Gewalt ihrer eigenen Familie, von Armut und körperlichem Missbrauch. Sie erzählt auch von der Übersiedlung ihrer Familie im späten 19. Jahrhundert und dem Rassismus, mit dem sie konfrontiert war.

Diese künstlerischen „Mythobiografien“ verbinden die Arbeiten von Mayorgas und Khan. Die Rolle der Gewalt ist in beiden fundamental. Die Ausstellung der Bremer Kunsthalle zeigt zwei sehr unterschiedliche und spannende Methoden künstlerischer Herangehensweisen an dieses Thema.

Die Ausstellung ist bis zum 1. Mai 2016 in der Kunsthalle Bremen zu sehen

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