: Die typische Berliner Kaputtheit
Subkultur Horst Weidenmüller befeuert qua Archiv den Mythos vom früher wilderen Berlin
Die Geschichte vom Mauerstadt-Berlin in den 1980ern, von Bowie, dem Atonal-Festival und der Entwicklung des Berliner Postpunk zum Techno unserer Tage, scheint im Großen und Ganzen auserzählt zu sein. Dennoch ist das Interesse an den wirklich wilden Zeiten von damals ungebrochen, es scheint kein Zuviel an Anekdoten rund um die Einstürzenden Neubauten und legendäre Ausgehläden wie das „Risiko“ oder den „Dschungel“ zu geben.
So war es auch kein Wunder, dass am Samstag viele ins „Silent Green“ im Wedding gekommen waren, um der Präsentation des Filmarchivs „Berlin 80/Subkultur“ von Horst Weidenmüller beizuwohnen, der während beinahe der gesamten 1980er eine Video- und Fernsehproduktionsfirma betrieb.
Wie faszinierend authentisches Footage von damals sein kann, das hat erst jüngst Mark Reeder mit seinem formidablen Film „Berlin-Movie“ bewiesen, der immer noch in Berliner Kinos zu sehen ist. Reeder präsentierte dann auch gemeinsam mit Weidenmüller dessen neu aufbereitetes Archiv – und das mit demselben Schalk, mit dem der Exzentriker bereits durch seinen Dokumentarfilm führte.
Damit nun aber nicht nur zwei nicht mehr ganz junge Männer von damals erzählten, wurden zu der dazugehörigen Gesprächsrunde auch zwei jüngere Protagonisten geladen, typische Repräsentanten des heutigen Berlin, die einst von der Faszination der Mauerstadtlegenden in die Stadt gespült wurden: Der Franzose Nicolas Isner betreibt von Berlin aus seine Band Liste Noire, und die Argentinierin Yasmin Gate hat sich einen Namen als Dirty Princess gemacht. Dass die Musik der beiden voll von Achtziger-Referenzen ist, muss man kaum hinzufügen.
Um einen echten Austausch der Generationen ging es dennoch nicht. Weidenmüller führte etwas selbstverliebt und in einem penetranten „Früher war alles so viel aufregender“-Tonfall durch seine schummrigen Filme, Reeder sagte dazu etwas Lustiges, und die beiden anderen auf dem Podium hatten weitgehend den Ausführungen zu lauschen, wie der Rest im Publikum.
Einblicke in Weidenmüllers Filmschätze machten schnell klar, dass man so manchen mitgefilmten Konzertauftritt aus dem Berliner Club Loft nicht wirklich hätte archivieren müssen. Nach einem Song von Shark Vegas, der kurzlebigen Band von Mark Reeder etwa, war man sich sicher, dass man von dieser Band auf keinen Fall mehr hören möchte – was Reeder übrigens selbst so geht.
Nackt ans Bett gefesselt
Als Weidenmüller dann ankündigte, er habe da noch ein ganzes Konzert dieser Band auf Lager, da spürte man schon eine gewisse Unruhe im Publikum. Den grotesk ernsthaften Willen zur Kunst bei der Performance von Manna Maschine, bei der eine nackte Frau an ein Bettgestell gefesselt wurde, während dazu ein Violinist wild etwas fiedelt, sollte man dagegen durchaus mal gesehen haben.
Als Namen für sein Archiv hat sich Weidenmüller die etwas umständliche Wortkonstruktion „Berlin 80/Subkultur“ ausgedacht. Was wohl den Sinn hat, nicht nur Musik aus Berlin neu sortieren zu dürfen. Manchmal ging dieser Ansatz jedoch auf Kosten von historischer Genauigkeit: Lydia Lunch, Psychic TV, Foetus – allen wurde nun eine typisch Berliner Kaputtheit zugeschrieben. Dabei ist etwa Lydia Lunch so sehr New York wie das Brandenburger Tor Berlin.
Gut waren die Anekdoten, die man von dem Abend mit nach Hause nehmen konnte. Etwa diese: Als DJ Westbam im Berliner Club Metropol anfing, Platten aufzulegen, verstand der Manager des Ladens so wenig davon, was Westbam da machte, dass er ernsthaft überlegte, sein DJ solle zwischen dem Plattenmixen noch Gläser spülen. Von solchen Geschichten kann man wirklich nicht genug kriegen. Andreas Hartmann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen