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Den Geräuschen auf der Spur mit dem Tonbandgerät

Porträt Für einen Auftritt muss sie zuerst mächtig schleppen. Weil sie Musik am liebsten mit altem analogem Gerät macht. Technik, die wiegt. Damit schöpft die aus Italien nach Berlin gekommene Marta Zapparoli experimentelle Klangkunst

von Michael Freerix

Das Wohnatelier von Marta Zapparoli sieht wie ein Museum aus. Umringt von alten, teilweise in den sechziger Jahren gebauten Tonbandgeräten sitzt die Musikerin an ihrem Arbeitstisch und hört sich Aufnahmen an, die sie zuletzt gemacht hat. Sorgfältig sucht sie Passagen aus, die sie auf Kassetten überspielt. Manchmal verlangsamt oder beschleunigt sie die Laufgeschwindigkeit des Tonbandes dabei, sodass die Klänge beim Überspielen verfremdet werden. Ihr Arbeitstisch ist umringt von Regalen, die bis zur Zimmerdecke reichen. Darin stapeln sich Tonbandgeräte unterschiedlichster Bauart, Kassettenrekorder und altertümlich wirkende elektrische Geräte. In kleinen Plastekisten hat sie ihr Ersatzteillager mit allerlei elektrischen Bauteilen verstaut. Kabel mit unterschiedlichen Steckern hängen sorgfältig über Nägel gehängt. Marta Zapparoli ist Klangkünstlerin, die mit Alltagsgeräuschen arbeitet, die sie in Klanglandschaften verwandelt.

Vor fünf Jahren konnte sie eine verwahrloste Wohnung an der Urbanstraße in Kreuzberg für wenig Geld anmieten. Sie brauchte acht Monate, um die Räume in einen bewohnbaren Zustand zu bringen. Doch sie ist glücklich hier und glücklich darüber, sich mit ihrer Musik und nur wenigen musikalischen Nebenarbeiten in Berlin halten zu können. Dank auch ihrer ausgesprochenen Sparsamkeit.

Aufgewachsen ist Zapparoli in einem kleinen Ort in Norditalien, in dem sie 1975 geboren wurde. Mit fünfzehn begann sie Saxofon zu lernen. In der kleinen Marschkapelle des Ortes spielte sie damit bei vielen Festen. Nach Schulabschluss studierte sie Bildende Kunst in Bologna, hauptsächlich in den Bereichen Performance und Experimentaltheater. Dort tanzte sie viel. „Selbst heute,“ sagt sie, „bewege ich mich auf der Bühne gerne. Das mag eine Folge dieser Ausbildung sein.“

Bei den Aufführungen, an denen sie mitwirkte, kamen immer Tonbandgeräte zum Einsatz, an denen die Musik oder die Effekte für das Bühnengeschehen abgespielt wurden. „Maschinen haben mich schon immer interessiert“, sagt sie im Rückblick. So schaute sie den Tontechnikern über die Schulter, wollte alles wissen. Schließlich fand sie einen, bei dem sie eine Lehrzeit absolvieren konnte.

Tontechnik ist ein komplexes Metier, in dem es um die Umwandlung, Bearbeitung, Aufzeichnung und Wiedergabe von akustischen Ereignissen geht. In der Regel kommen dabei Mikrofone zum Einsatz. Und jedes hat seine eigene Klangcharakteristik. Es gibt Mikros nur für den Nahbereich und andere, die den gesamten Raum akustisch abbilden. Und jeder Raum ist anders, jeder Ton entsteht individuell. Die Tontechnik muss das abbilden. Sie ist Teil des künstlerischen Aspektes eines jeden Klanges.

Produzierende im Porträt

In lockerer Reihe stellt die ­taz.Berlin Künstlerinnen und Künstler vor, die in der Stadt leben und arbeiten. Und wie sie das tun. So soll sich die Reihe dabei letztlich, Porträt für Porträt, zu einer Dokumentation der Produktionsbedingungen fügen und wie man die Kunst in dem sich wandelnden Berlin am Laufen hält.

Beispiele der Klangexperimente und Soundcollagen von Marta Zapparoli kann man auf martazapparoli.bandcamp.com oder martazapparoli.blogspot.com und auch auf SoundCloud hören.

Der Umgang mit Mikrofonen ist ein bedeutender Aspekt für Marta Zapparoli. Sie begann, ihre Umgebung mit dem Mikrofon zu erforschen. Alles, was sie so aufnahm, sortierte sie daheim, überarbeitete und montierte es. Sie begann, diese Montagen auf mehreren Rekordern gleichzeitig abzuspielen. Und war fasziniert von den Klanglandschaften, die so entstanden. Es dauerte nicht lange und sie präsentierte die vor Publikum. Zunächst improvisierte sie noch alleine, später auch im Zusammenspiel mit anderen Musikern: „Grundsätzlich arbeite ich in der Improvisation, ich hasse Komposition. Das heißt, ich mag Komponisten, aber für mich ist das nichts“, so sieht sie ihren Arbeitsprozess.

Doch ist die experimentelle Musikszene in Italien eher klein. Es gibt wenig Orte, wo derlei Musik präsentiert wird. Zapparoli begann, Improvisationskonzerte für andere Musiker in Galerien zu organisieren, was ihre eigene Auftrittsituation aber kaum verbesserte.

Um die Jahrtausendwende stellte sie ihr Tonarchiv von analog auf digital um. Eine Arbeitserleichterung hatte sie sich davon versprochen – und musste zu ihrer Ernüchterung feststellen, dass digitaler Ton eine ganz andere Arbeitsweise als die ihr gewohnte erfordert. Darüber hinaus machte ihr die Arbeit am Laptop einfach keinen Spaß, weshalb sie zu ihren alten Geräten zurückkehrte.

Was aber macht deren Qualität aus? „Tonbänder“, sagt Zapparoli, „sind Materialien, die ich in die Hände nehmen kann, die ich mit den Fingern verlangsamen oder beschleunigen kann. Da strömt Energie durch meine Finger. Es geht für mich um die Verbindung von Körper und Klang.“

„Tonbänder kann ich in die Hand nehmen. Da strömt Energie durch meine Finger“

Marta Zapparoli über das Haptische ihrer Musik

2006 erhielt sie ein Stipendium, um das Audioporträt einer Stadt zu gestalten. Sie entschied sich für Berlin. Fest davon überzeugt, dass jede Stadt und jeder Ort eine eigene aurale Identität besitzt, wollte sie dies am Beispiel von Berlin konkretisieren.

Vier Monate lang legte sie ein akustisches Archiv der Stadt an, die fertige Arbeit konnte sie auch einem Konzertpublikum präsentieren. Was für Marta Zapparoli eine besondere Erfahrung war. Bis dahin kannte sie es nur so, dass man ganz für sich, für seine eigene musikalische Entwicklung arbeitet, in Berlin hingegen entdeckte sie viele kleine Veranstaltungsorte und Hinterzimmerclubs wie das Ausland, Loophole oder auch das inzwischen dahingegangene NK, in denen so eine Musik aufgeführt wird und dazu ein Publikum findet. Die Szene der improvisierten Musik hat ihre Heimat in Berlin.

Begeistert davon zog Zapparoli in die deutsche Hauptstadt, wo sie seither lebt und vor allem als Tontechnikerin arbeitet. Mit dem Klangporträt von Berlin begann für sie aber auch ein Lebensprojekt: ein Archiv der „ungehörten Töne“ möchte sie anlegen. Zum Beispiel will sie die Klangwelten entlegener Wüsten oder schwer zugänglicher Gebirge aufzeichnen. Was derzeit noch Zukunftsmusik ist. Als Nächstes soll es erst mal nach London gehen, wo sie die stillgelegten Teile der Untergrundbahn akustisch erkunden will.

Viel Zeit wendet Zapparoli für die Suche nach alter Technik auf. „Das Problem ist nur: Diese Sachen werden immer teurer“, weiß sie. „Es wird immer schwieriger, noch etwas in die Finger zu bekommen.“ Und es gibt immer weniger Techniker, die sich mit alten Gerätschaften auskennen und die reparieren können. Deshalb repariert sie ihre kleinen Maschinen zum großen Teil selbst und hat auch schon das eine oder andere Mikrofon zusammengebaut.

„Was mich bewegt, sind die echten Töne der Welt. Insekten, verlassene Orte“

Marta Zapparoli über die Grundlagen ihrer Musik

Ein anderes Problem: Diese alte Technik wiegt durchaus schwer. Für Auftritte muss die Künstlerin viele Kilo gewichtiger Gerätschaften mit sich schleppen, die sie in einen bereits zerbeulten, metallenen Rollkoffer verstaut. Ihr Traum wäre ein ultraleichtes Mehrspurgerät, das verschiedene Funktionen in sich vereint.

So ein Gerät, wie es häufig in Spionagefilmen zu sehen ist. Es wundert wohl kaum, dass Marta Zapparoli gerade für Spionagefilme eine ausgeprägte Leidenschaft hat. Mikrofone, die kilometerweit horchen können oder an aberwitzigen Stellen versteckt werden. Männer, die in verrauchten Vans hocken und gebannt lauschen. Aus Geräuschen und Gesprächsfetzen entstehen in ihren Köpfen – und in denen der Zuschauer – prickelnde Bilderwelten.

Auch bei Marta Zapparoli entsteht das Imaginäre aus dem Konkreten: „Was mich bewegt, sind die echten Töne der Welt, Insekten, verlassene Orte, die Geräusche eines Feldes, unvorhersehbare natürliche Klangeffekte, Naturkatastrophen, aber auch störender Lärm oder Ultraschalluntersuchungen.“ Das alles ist die Grundlage ihrer erstaunlich konkreten Musik.

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