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Jenseits der Körneresser

PORTRÄT Ein Kaufangebot pro Monat bekommt Ulrich Walter für sein Unternehmen im Schnitt. Doch bisher hat sich der 66-Jährige noch auf keine Offerte eingelassen

von Eva Oer

DIEPHOLZ taz | Ulrich Walter wagt keine Vorhersagen mehr für seinen Ruhestand. „Die erste, ganz verrückte Prognose gab es mal, als ich Mitte 40 war. Da habe ich gesagt, dass ich mein Arbeitspensum mit Mitte 50 langsam abbaue.“ Jetzt ist Walter 66 Jahre alt – und sitzt in seinem Büro im Verwaltungsgebäude der Firma Lebensbaum. Wie jeden Tag.

Noch immer ist er Geschäftsführer der Biofirma und arbeitet täglich etwa 6 Stunden. Hier in der niedersächsischen 17.000-Einwohner-Stadt Diepholz produziert Lebensbaum Kaffee, Tee und Gewürze. Schon vor dem Gebäude kriecht einem ein sachter Geruch in die Nase: Anis? Oder Fenchel? Früher waren ökologischer Tee, Kaffee und Gewürze in Deutschland nicht erhältlich. Heute macht Lebensbaum damit ein gutes Geschäft: Im Jahr 2015 wird die Firma nach eigenen Angaben voraussichtlich einen Umsatz von 64 bis 65 Millionen Euro haben.

Oder wie Walter sagen würde: „bummelig“ 65 Millionen Euro, schließlich sind wir in der norddeutschen Tiefebene. Wenige Meter vom Firmensitz entfernt beginnt das Moor. Wenige Kilometer weiter in der Gemeinde Rehden ist Walter aufgewachsen. Der Klischeevorstellung eines Biopioniers entspricht er kaum – in seinem dunklen Cardigan und den eleganten schwarzen Lederstiefeletten wirkt Walter eher wie eine Mischung aus Philosophieprofessor und Provinzgalerist. Als sein Pressesprecher ihm zwischen zwei Fotos den Kragen seines Hemds unter dem Arbeitskittel richten will, winkt er schnell ab: kein Schnickschnack, bitte.

30 Jahre lang hat Walter Kommunalpolitik gemacht und für die SPD im Gemeinderat seines Heimatorts gesessen, er engagiert sich in Verbänden und ist derzeit Aufsichtsratvorsitzender der GLS-Bank. Und außerdem ist er eben genau das: einer der Pioniere, die in den 70er oder 80er Jahren angefangen haben, Bio aus der Körner­esser-Ecke zu holen.

Die Geschichte von Lebensbaum beginnt 1979, erzählt Walter: Damals noch Sozialpädagoge, geht er in den Bioladen von Diepholz, will Brot und ein paar andere Dinge einkaufen – und als er rauskommt, gehört der Laden ihm, weil der vorherige Besitzer das Geschäft aufgeben wollte. Seine Frau Angela und er schmeißen nun den Laden und servieren selbst gebackenen Biokuchen – den Walters Frau auch mal aus Wut in den Garten schmeißt, wenn er statt lecker doch nur bio schmeckt. Den Kaffee zum Kuchen können die Walters aber nicht aus ökologischer Landwirtschaft bekommen. Also sucht Walter sich selbst Lieferanten – die Marke Lebensbaum entsteht.

Heute ist Lebensbaum in seinem Segment Marktführer im Biohandel, ein Unternehmen mit etwa 200 Mitarbeitern. Kaufangebote trudeln häufiger ein. Durchschnittlich eine Offerte im Monat, das komme hin, sagt Walter. Bisher hat er keine davon angenommen – wie lange soll das so bleiben?

Walter winkt ab: „Ich werde das Unternehmen sicher nicht an einen konventionellen Wettbewerber verkaufen – es sei denn, die Firma wäre in Gefahr.“ Allein, weil kaum ein Konzern alle Geschäftsbereiche behalten würde: „Wenn ich etwa an eine Kaffeerösterei verkaufen würde, dann würde die sicher irgendwann Tee und Gewürze abstoßen“, sagt Walter und schüttelt den Kopf. „Diese Einzigartigkeit und unsere sehr langjährigen Lieferantenbeziehungen – das kann ich nicht einfach an ein Unternehmen verkaufen. Was ich aber nicht ausschließe, ist, weitere Gesellschafter reinzuholen, die Interesse haben, in Nachhaltigkeit zu investieren.“

„Bio kann man ­lernen, wenn man sich dafür ­interessiert“

Ulrich Walter

Der 66-Jährige hat sein Unternehmen schon vor einer Weile umstrukturiert, um sich Stück für Stück entbehrlich zu machen. Das Unternehmen soll zwar weiter der Familie gehören, die Geschäftsführung aber wird nicht in Familienhand bleiben – obwohl eine von Walters zwei Töchtern bei Lebensbaum arbeitet. „Von ihren persönlichen Präferenzen und ihrem Naturell her ist Maren in der Kommunikation verwurzelt“, sagt Walter.

Bereits vor zehn Jahren hat er außerdem einen Manager als zweiten Geschäftsführer eingestellt – einen, der nicht aus der Ökobranche kommt: „Bio kann man lernen, wenn man sich dafür interessiert. Berufliche Professionalität muss man mitbringen“, sagt Walter. Er stört sich nicht daran, wenn seine Leute nicht schon einen Nachhaltigkeitshintergrund mitbringen. „Ich bin hier auf dem Dorf aufgewachsen, da ist man viel geerdeter als in der Großstadt. Ich habe auch so eine gewisse Unruhe in mir gehabt und gegen Dinge gekämpft – aber Radikalisierung war nie mein Ding.“

Seine Öko-Überzeugungen haben sich aber nicht gewandelt – wenngleich er von „Ernüchterungserscheinungen“ spricht: „Ich sehe schon, dass sich in der Branche einiges verändert hat. Das Gemeinschaftliche hat sich doch ziemlich relativiert – was den Wettbewerb und seine Begleiterscheinungen angeht, gibt es eine Angleichung an das Konventionelle.“ Ängstlich sei er aber nicht: „Ich vertraue der jungen Generation. Die werden das schon managen.“

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