Verkauf mit Mahnung: Ein Beirat, zwei Beschlüsse

Der Beirat Mitte stimmt knapp für den Grundstücksverkauf an Kühne+Nagel – und mahnt die Aufarbeitung der Firmengeschichte an.

Entwurf eines Mahnmals von Wlodek und Jacek Stopa als Beitrag zum taz-Ideen-Wettbewerb Foto: studiostopa

BREMEN taz |Der Beirat Mitte stimmt dem Verkauf des öffentlichen Platzes vor Kühne+Nagel an der Kaisenbrücke an den Logistikkonzern zu. In nicht-öffentlicher Sitzung bekam das Vorhaben jedoch nur eine äußerst knappe Mehrheit: Lediglich sechs der insgesamt 13 Beiratsmitglieder stimmten dafür, den Platz als Baugrundstück an Kühne+Nagel zu verkaufen.

Das Abstimmungsverhalten der Fraktionen wird nicht bekannt gegeben. Naheliegend ist jedoch, dass die drei Gegenstimmen von den Linken kommen, die vier Enthaltungen von den Grünen – bei denen erhebliche Vorbehalte gegen den vom Wirtschafts- und Bauressort forcierten Verkauf bestehen. Mit einer Ablehnung hätten sie sich jedoch in einen offenen Konflikt sowohl mit ihrem Bausenator als auch dem baupolitischen Sprecher ihrer Bürgerschaftsfraktion, Robert Bücking, begeben, die beide den Neubau des Firmensitzes unterstützen.

Für „nicht nachvollziehbar“ hält der gesamte Beirat hingegen, „dass an dieser prominenten Stelle kein Architektenwettbewerb durchgeführt wurde“, dies müsse in vergleichbaren Situationen künftig „bindend“ vorgeschrieben werden. Denn: Die Einrichtung des „Gestaltbeirats“, den die Senatsbaudirektorin ins Leben gerufen hatte, könne einen Wettbewerb „nicht ersetzen“.

Der Beirat kritisiert, dass es dem Verfahren insgesamt „in erheblichem Maß an Transparenz fehlt“ und die Öffentlichkeit „viel zu spät informiert“ worden sei: „Erheblich früher“ hätten Bilder von der geplanten Gestaltung des Baus, „nicht nur von der groben Kubatur des Gebäudes, der Öffentlichkeit vorgestellt werden müssen“. Anwesende Anwohner kritisierten, das geplante Gebäude wirke wie ein „Sperr-Riegel“ zwischen Stadt und Weser. Bücking wiederum betonte, der jetzige Platz sei ein ungenutzter „Schmuddelfleck“, die Bebauung bis auf die Kreuzung hinaus als „klare Kontur“ ein städtebaulicher Gewinn.

Bis zum 20. Februar sammelt die taz Ideen für ein „Arisierungs“-Mahnmal. Einsendeadresse ist: 4qmWahrheit@taz.de

Im Anschluss vergibt eine Experten-Jury dotierte Entwurfsaufträge. Auch wenn Bremen keine Fläche zur Verfügung stellt, wird die taz den Wettbewerb wie angekündigt zu Ende führen. Es wäre das erste Mahnmal, das explizit die wirtschaftliche Seite des Holocausts thematisiert.

Hintergrund ist das faktische Monopol, dass sich Kühne+Nagel gesichert hatte, um den kompletten Haus- und Wohnungseinrichtungen jüdischer Deportierte aus ganz Westeuropa abtransportieren zu dürfen

Zwischenzeitlich hatte Kühne+Nagel sogar mit einem veritablen Hochhaus an der Kaisenbrücke als neuem Firmensitz geliebäugelt, die Stadt begrenzte die Geschosszahl jedoch auf elf. „Das ist nur eines mehr als bisher“, betont die Senatsbaudirektorin. Dennoch soll der Neubau mit 40 Metern sechs Meter höher als der bisherige Firmensitz sein und mit 11.500 Quadratmetern eine nahezu verdoppelte Bruttogeschoss-Fläche aufweisen.

Warum Kühne+Nagel an dieser Stelle in diesem Umfang bauen möchte, begründete der Norddeutschland-Chef der Firma, Uwe Bielang, nicht nur mit funktionalen Erfordernissen: Hinter dem Projekt stecke seitens des Mehrheitsaktionärs „eine ganz wichtige Emotionalität“, betonte er mehrfach: „Das hat was mit Emotionen, Wurzeln und Historie zu tun.“

Ähnliche Gründe führte die taz ins Feld, die auf der Beiratssitzung ihre Initiative für ein „Arisierungs“-Mahnmal vor dem Firmensitz erläuterte: Kühne+Nagel machte nicht nur bemerkenswert große NS-Geschäfte, indem es unter anderem 72.000 jüdische Wohnungseinrichtungen der „Verwertung“ zuführte, sondern tut sich auch in bemerkenswerter Weise schwer mit deren Aufarbeitung. „Diese Debatte lässt den Beirat nicht unberührt“, erklärte dessen Sprecher Michael Rüppel (Grüne) und regte eine Sondersitzung zum Thema an.

Nach engagierter Debatte beschloss der Beirat mit nur zwei Gegenstimmen zunächst eine „Positionierung“: „Der Neubau an dem Ort, an dem bereits das Stammgebäude der Firma stand, wäre ein guter und geeigneter Zeitpunkt, sich seiner Vergangenheit zu stellen und diese aufzuarbeiten. Der Beirat sieht hier Handlungsbedarf.“ Der FDP-Vertreter im Beirat hatte zuvor vergeblich die „Nicht-Befassung“ mit dieser Erklärung beantragt.

Die baupolitische Sprecherin der Linken, Claudia Bernhard, qualifiziert den in der vergangenen Woche vorgestellten Entwurf als „bauliches Denkmal für die Kühne-Dynastie“, das „den Charme eines Mausoleums“ verströme. Ein solch „monströses Bauvorhaben“ dürfe nicht „auch noch durch den Verkauf von öffentlichem Grund unterstützt“ werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

2015 bis 2022: Von der taz-Kampagne „4 Qm Wahrheit“ bis zum Bau des Arisierungsmahnmal in Bremen

Kühne+Nagel: Das Logistikunternehmen Kühne+Nagel (K+N) feiert 2015 auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Jubiläum und stellt dabei die Firmengeschichte zur Schau. Die taz recherchiert die fehlenden Fakten, u.a. die maßgebliche Beteiligung der Firma am Abtransport der Wohnungseinrichtungen der deportierten jüdischen Bevölkerung in ganz Westeuropa.

Crowdfunding: Unter dem Motto „4 Qm Wahrheit“ werden 27.003 Euro für den Kauf von 4 Quadratmeter Boden auf dem Platz gesammelt, auf dem K+N in Bremen seinen Neubau errichten will – als Standort für ein Mahnmal.

Kaufangebot: Die taz bietet der Stadt Bremen den doppelten Quadratmeterpreis wie K+N. Das Angebot wird abgelehnt, involviert aber Finanz- und Bauausschuss in die Thematik.

Gestaltungs-Wettbewerb: Die taz sammelt Ideen, wie „die Totalität der,Verwertung' jüdischen Eigentums in Gestalt eines Mahnmals visualisiert werden könnte. Unter den 60 Teilnehmenden des Gestaltungs-Wettbewerbs aus ganz Deutschland und Österreich sind sowohl bekannte Künst­le­r:in­nen als auch Schulklassen. Der Wettbewerb löst zahlreiche familienbiographische Nachfragen und Auseinandersetzung aus. Der Entwurf von Evin Oettingshausen kommt auf Platz 1.

Die taz veranstaltet am 3. November 2016 ein Symposium in der Bremischen Bürgerschaft: „Arisierung“ – über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe.

Alle Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft beschließen im November 2016 den Bau des Mahnmals.

Langes Ringen um den „richtigen“ Standort in Bremen: Soll das Mahnmal bei Kühne+Nagel, am Europahafen, an der Jugendherberge oder irgendwo dazwischen verortet werden?

Dynamik: Parallel zum politischen Prozess entstehen, ausgelöst von der Kampagne „4 qm Wahrheit“, künstlerische Aktionen, temporäre Mahnmale, Masterarbeiten, internationale Ausstellungsbeiträge, Radioreportagen und Regionalromane.

Ergebnis: Am 1. Februar 2022 beschließt der Bremer Senat den Bau des Mahnmals – zwischen Kaisenbrücke und den Bremer Weserarkaden, schräg unterhalb des Firmengebäudes von Kühne+Nagel.

Eröffnung: Am 10. September 2023 wurde das „Arisierungs“-Mahnmal eröffnet. Begleitinformationen finden sich auf der Webseite: geraubt.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.