: Denunziert und ruiniert
NS-Opfer Neue Studie über Entschädigungen nach 1945 in Celle
Im August 1945 kündigte Celles Oberbürgermeister Walther Hörstmann an, „das Celler Bürgern durch längere KZ-Haft angetane Unrecht dadurch einigermaßen wiedergutzumachen, indem ihnen ein kleines Einfamilienhaus errichtet und übereignet wird“. Während der NS-Zeit Geschädigte wurden aufgefordert, ihren Fall zu schildern. Celle war damit Vorreiter in der britischen Zone. Nun haben die Historiker Reinhard Rohde und Tim Wegener in einer Studie unter dem Titel „…melde ich mich hiermit als von den Nazis Geschädigter“ 118 Anträge von damals untersucht.
Der Steuerberater Herbert Leinemann gibt an, dass er 1934 und 1935 auf Grund einer Denunziation von der Gestapo verhaftet wurde. 1936 wird ihm die Zulassung entzogen, wegen fehlender politischer Zuverlässigkeit. Nach der Wiederzulassung geht die Zahl der Aufträge rapide zurück. Seinen Schaden beziffert Leinemann auf 40.000 Reichsmark. Das Land Niedersachsen erkennt eine Schädigung an, lehnt seinen Antrag 1959 dennoch mit folgender Begründung ab: „Danach ist der Antragsteller in der Ausübung seiner selbständigen Erwerbstätigkeit nur geringfügig geschädigt worden. Nach §64 Bundesentschädigungsgesetz wird aber für geringfügige Schäden keine Entschädigung gezahlt.“
August Hoffmann, seit 1895 in der SPD und in Celle mehr als zehn Jahre in der Parteileitung, war als Wirtschaftsinspektor Beamter. Seit 1934 wird ihm das Ruhegehalt aus politischen Gründen verweigert. Hoffmann macht einen Schaden von rund 20.000 Reichsmark geltend. Im Wiedergutmachungsverfahren bekommt er 5.300 Mark zugesprochen.
Nazis wollten Opfer sein
Karl-Ernst Hache musste „Haches Kaffeegeschäft“ 1943 auf Grund eines Erlasses schließen. In seinem Antrag auf Entschädigung bezeichnet er sich als Regimegegner und führt die Schließung auf politische Gründe zurück – ohne Erfolg. Ein Zeuge präsentiert einen Brief, in dem Hache 1940 schreibt: „Sobald die Bewegung Adolf Hitler in Vorschein trat, war ich einer der Ersten, der die Partei wählte und auch dafür warb. Aber nicht lau, sondern sehr forsch. Ich war einer der Ersten, die für das Braune Haus Lebensmittel und Möbel stifteten.“
Der Antrag von zwei Cellerinnen, die zwangssterilisiert wurden, wird in den 1950er-Jahren abgelehnt – mit der Begründung, die Sterilisierung hätte nichts mit dem politischen System zu tun gehabt. „Wer aus politischen Gründen im Gefängnis oder im KZ war, dem wurde eine finanzielle Haftentschädigung zuerkannt. In anderen Fällen waren die Erfolgsaussichten dafür geringer“, sagt Rohde.
Auch wenn viele Fragen offen bleiben, schildern in dem Buch Betroffene anschaulich das System aus Denunziation und Willkür in einer Kleinstadt. Aus dem Plan des Celler OB, KZ-Opfern kostenlos Häuser zu überlassen, wurde übrigens nichts. gör
Verlag für Regionalgeschichte 2015, 419 Seiten, 24 Euro
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