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Gesammelte Gewalt

SAMMLUNG Im dritten Teil ihrer Reihe „Junge Sammlungen“ gibt die Weserburg Einblicke in den außerordentlich vielseitigen Geschmack von Software-Entwickler Ivo Wessel

von Radek Krolczyk

Die Ausstellung in der ersten Etage der Weserburg sieht nicht unbedingt nach einer klassischen Museumsausstellung aus. Die Bilder, Fotografien und Projektionen sind ungewöhnlich dicht beieinander. Üblicherweise lassen Museen den Kunstwerken heute ja sehr viel Platz – so entstehen Resonanzräume, in denen sich die Werke entfalten können. Zwischen den Besuchern und den künstlerischen Arbeiten soll so eine intime Situation entstehen. Das größte Verständnis eines Werks entsteht, um es pathetisch zu sagen, in der einsamen Konfrontation der Betrachter mit ihm.

In der Weserburg ist es diesmal anderes. Man kann sich schon an die vollgestopfte Wohnung eines Sammlers erinnert fühlen. Und tatsächlich befinden wir uns hier in einer Ausstellung, die aus den Beständen einer privaten Kunstsammlung generiert wurde. Der Berliner Softwareentwickler Ivo Wessel präsentiert hier einen Teil seiner Sammlung. Genau genommen stammen ja beinahe alle Werke, die in der Weserburg, Europas erstem Sammlermuseum, ausgestellt werden, aus solchen Privatsammlungen.

Seit drei Jahren zeigt das Museum eine Ausstellungsreihe unter dem Titel „Junge Sammlungen“. Keiner dieser jüngeren Sammler verfügt über eigene Ausstellungsräume. Wobei, so jung ist Ivo Wessel mit Mitte 50 dann auch wieder nicht – seine Art zu sammeln allerdings schon. Das liegt nicht zuletzt an den vielen jungen und wenig bekannten Künstlern.

Ivo Wessel ist vor allem bekannt für seine riesige Videosammlung. Schon seit 2008 veranstaltet er gemeinsam mit dem Galeristen Olaf Stüber die Reihe „Videoart at Midnight“ im Berliner Traditionskino „Babylon“. Auch Video gilt unter den Künsten als relativ junge Gattung. Auch in Bremen zeigt Wessel Filme aus seiner Sammlung im Kommunalkino City 46. Als Teil der Ausstellung steht zudem noch eine Videobox auf dem Teerhof, in der rund 20 Beispiele neuester Filmkunst laufen.

Freunde des Sammlers schwärmen zudem noch von seiner Büchersammlung. Wessels Interessen scheinen sehr breit gestreut zu sein. Davon bekommt man auch in der Bremer Ausstellung einen Eindruck. Neben der Videokunst wird dort etwa auch Malerei gezeigt, die so wirkt, als gehöre sie zur klassischen Moderne.

Wessel gehört zu jenen Sammlern, die engen Kontakt zu ihren Künstlern halten. Einer dieser Schützlinge ist der Filmkünstler Stefan Panhans. Von dem 1967 im Ruhrgebiet geborenen Videomacher, der für seine Absurdität und Trostlosigkeit bekannt ist, wird einiges gezeigt. Zum Beispiel „Noch ein Sportstück“, mit dem er 2014 den Bremer Videopreis gewann:

Auf der Leinwand ist es finster. Ein paar Leuchtstrahler heben und senken sich automatisch. Dazwischen bewegt sich eine eigenartige Apparatur. Man hört ihr Klappern – oder meint zumindest, es zu hören. Von der Kamera heißt es, sie habe ihre Herkunft im Militär. Sie umkreist die pochende Maschine und liefert uns ihre Bilder. Es scheint, als würde sie im Ausstellungsraum nach etwas suchen. Ist „Seek and Destroy“ ihre Mission?

Irgendwann erkennt man dann, dass diese Landschaft ein automatisiertes Fitnessgerät ist. Die Übungen für Arme und Beine macht sie vollkommen eigenständig. Aus Mangel an Akteuren handelt das Setting schließlich selbst: Beleuchtung, Kamera und Kulisse erwachen zum eigenständigen Leben, weil sonst nichts und niemand mehr lebt.

Aus Mangel anAkteurenhandeltdas Settingschließlich selbst:Die Landschafterwachtzum Leben

Einen weiteren Schwerpunkt der Sammlung bilden die Arbeiten des 1963 in Dresden geborenen Via Lewandowsky. Wie auch Panhans’pflegen Lewandowskys Arbeiten einen sarkastischen Umgang mit den Missständen einer von Gewalt geprägten Gesellschaft. Der Kunsthistoriker Guido Boulboullé verdeutlicht das im Ausstellungstext an einer Skulptur, die eine Mischung aus Seil und Baseballschläger darstellt: Die Waffe hat einen Knoten.

Die Vermengung der beiden Motive wirke zugleich lächerlich und bedrohlich, so Boulboullé. Tatsächlich lässt sich mit einem solchen schlaffen Gerät niemand erschlagen. Doch die Transformation zur Schlinge ermöglicht zugleich andere Formen der Gewalt.

Neben solchen Arbeiten wirken die abstrakten, suprematistischen Ölbilder, die ebenfalls in der Ausstellung hängen, seltsam fremd. Wessel hat offenbar Arbeiten verschiedener Maler wie Anton Stankowski und Mathieu Mercier zusammengetragen, die nachträglich angefangen haben, ähnlich zu malen, wie Piet Mondrian oder El Lissitzky. Dem einen ging es um die Herstellung von Harmonie, dem anderen um den reinen Gedanken. Das Formenvokabular entspricht bei den Adepten durchaus jenem der Klassiker. Mercier allerdings verwendet gern vorgefundenes, industriell gefertigtes Material, während der Grafiker Stankowski es als Vorstufe zu seinem Kommunikationsdesign versteht.

Es gibt in der Ausstellung viel zu entdecken. Man kann darin wohl auch eine Antwort auf die leidige Frage sehen, ob das Sammlermuseum heute noch zeitgemäß ist. „Haben denn Sammler nicht inzwischen alle eigene Museen?“, lautet doch das Argument der Skeptiker. Ivo Wessel hat keins. Und unsere Kulturstaatsrätin wird dem Bremer Publikum sicherlich keine solche Sammlung zusammenkaufen.

Die Ausstellung „Junge Sammlungen 03“ ist noch bis zum 22. Mai in der Weserburg zu sehen

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