: Melancholie nach Art des Hauses
POSTMODERNER ZITATPOP Der tolle Chicagoer Slacker Jimmy Whispers gastiert im West Germany
Das West Germany hatte schon immer ein gutes Händchen für Weirdos und Exzentriker aller Art. Der schräge Vogel Ariel Pink etwa ist hier schon aufgetreten, bevor Madonna von ihm Notiz nahm. Auch John Maus, US-Ultra-Synthiepopper und Philosophiedozent, hat einen sagenumwobenen Auftritt hingelegt. In den letzten Monaten lief konzertmäßig jedoch nicht viel im Kreuzberger West Germany.
Eine Zeit lang dachte man sogar, der Laden am Kotti macht endgültig dicht, was sich glücklicherweise als selbst gestreute Fehlinformation im Dienste einer Kunstaktion entpuppte. Die Schließung des West Germany war ein unbestätigtes Gerücht, doch wie man bei aktuellen Ereignissen sehen kann, glauben die Leute heute jeden Quatsch ungeprüft. Zumindest so lange, bis sie sich mit eigenen Augen vom Gegenteil überzeugen lassen.
Dafür bietet sich im Fall West Germany ganz gut das Konzert von Jimmy Whispers an. Der 27-Jährige ist ein typischer Künstler nach Art des Hauses, also angemessen verschroben und kauzig. Er war schon einmal im Vorprogramm von Ariel Pink auf Tour und definiert den Begriff Lo-Fi ganz neu. Sein Debütalbum „Summer in Pain“ wurde, so geht das Gerücht, mit einem I-Phone aufgenommen; das ist selbst für überzeugte Schlafzimmer-Produzenten eine ziemlich minimalistische Produktionsweise.
Jimmy Whispers, der bis vor Kurzem noch Sänger der Chicagoer Band Light Pollutions war, benutzt ähnlich wie Ariel Pink postmodernen Pop als Zitatkunstwerk. Er schüttelt sich die begnadetsten Melodien nur so aus dem Ärmel, scheint dabei aber einfach zu faul zu sein, aus diesen auch wirklich große Songs zu basteln. Ein hübsches Fragment ist ihm ganz offensichtlich lieber als ein überproduziertes Stück mit Radiotauglichkeits-Siegel und dem Einsatz des Gesangseffekts Autotune. Whispers ist der Typ Slacker mit langen Haaren, der auf Partys Bierdosen sticht, im echten Leben aber ein verlorener Geist auf der Suche nach der großen Liebe ist. Irgendetwas Schmerzhaftes scheint speziell der Sommer bei ihm auszulösen, wie der Albumtitel „Summer in pain“ andeutet, aber auch ein Song wie „I get lost in you in the Summertime“ deutet an, dass Whispers, der auf seinen Songs so gut wie immer eine alte elektronische Orgel vom Flohmarkt spielt, ein echter Melancholiker ist.
Das gespaltene Verhältnis von Jimmy Whispers zum Sommer kommt wohl daher, dass er zwar aussieht wie ein Junge aus Kalifornien, in Wahrheit aber stolzer Bürger von Chicago ist, der arbeitsamen Metropole des mittleren Westens, wo im Winter weder die Sonne scheint noch das Surfen möglich ist. In seinen Videoclips stapft Whispers ziellos durch die Straßen seiner Heimatstadt, legt sich auf dem Friedhof ins Gras oder chillt einfach so rum. Was man halt so macht als Pop-Bohemien. Nach Berlin kommt er nun zum Glück im Winter, da könnte die Chance ganz gut sein, dass er gute Laune hat. Andreas Hartmann
29. Januar, West Germany, Skalitzer Str. 133, 21.00 Uhr
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