piwik no script img

Flotte Tanzmusik aus der Klangmaschine

KlangDas Subharchord, ein Instrument für futuristische Sounds, wurde in den 50er Jahren in der DDR entwickelt und war seiner Zeit weit voraus. Trotzdem geriet es in Vergessenheit – bis Manfred Miersch es wiederentdeckte

von Gunnar Leue

In Ostberlin wurde in den Sechzigern eine revolutionäre Klangmaschine entwickelt, die den DDR-Traum vom „Überholen ohne einzuholen“ ausgerechnet auf dem Gebiet der elektronischen Klangerzeugung fast verwirklicht hätte. Lange geriet sie in Vergessenheit, bis der Westler Manfred Miersch dem sensationellen Instrument nachspürte und mit ihm erstmals nach Jahrzehnten sogar wieder eine Filmmusik schuf.

Manfred Miersch war mal Punkgitarrist, was man kaum vermuten würde bei dem langen, schlanken Mittfünfziger mit seiner bedachtsamen, akkuraten Art und den strengen Gesichtszügen. Aber in den Achtzigern spielte der geborene Weddinger tatsächlich gleich in mehreren Punkbands. Bis er die Gitarre hinsichtlich ihrer Klangmöglichkeiten für sich „als erschöpft“ ansah. Er studierte Kunst und widmete sich der Bildhauerei.

Jetzt sitzt Manfred Miersch in seinem Atelier in einer alten Fabriketage in einem Prenzlauer Berger Hinterhof und kann sich noch gut erinnern, wie er wieder zur Musik fand: Durch die Ausstellung „Berlin-Moskau“ im Berliner Gropius-Bau 1996. „Ich sah ein Exponat, das ich nicht kannte, und hielt es zuerst für eine bildhauerische Skulptur im Stil des Konstruktivismus, bis ich erfuhr, dass es ein 1920 vom Russen Lew Termen erfundenes elektronisches Instrument ist, das berührungslos gespielt wird. Ich habe mir dann einen Bausatz zum Selberbauen besorgt und die Band atelierTheremin gegründet. So wuchs mein Interesse an historischen elektronischen Instrumenten.“

Technologische Urbausteine

Von denen stehen etliche in Manfred Mierschs Atelier – zwischen Bildern und allerhand Technikgerätschaften wie einem selbst gebauten, rückwärtsdrehenden Plattenspieler, der wie eine Skulptur aussieht. Nur das Instrument, das Manfred Miersch besonders mag, steht nicht hier. Jenes, das für ihn zu einer Obsession wurde und nach dem er anderthalb Jahrzehnte geforscht hat. Das Instrument heißt Subharchord, war eine klobige Klangmaschine, die man zu den technologischen Urbausteinen der elektronischen Musik zählen kann. Es erzählt eine schier unglaubliche Geschichte aus der beginnenden Übergangszeit von der analogen in die digitale Welt, die nur wenige Jahre dauerte und bald in Vergessenheit geriet – bis sie Manfred Miersch wieder ans Licht holte.

Knarzen, brummen: Subharchord

Der elektronische Klang- und Geräuscherzeuger Subharchord wurde ab 1959 von einem Team um den Ostberliner Erfinder Ernst Schreiber im Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt in Adlershof entwickelt. 2003 entdeckte der Westdeutsche Manfred Miersch eins von drei noch existierenden Exemplaren des lange vergessenen und verschollenen Instruments im ehemaligen DDR-Funkhaus in Oberschöneweide.

Für seinen „Krautopia Sampler“ und für die Vinylplatte „Subharmonische Mixturen mit dem Subharchord“ hatte Miersch erstmals 2003 auf dem restaurierten Subharchord-Prototypen eigene Kompositionen produziert. Auf seiner CD „Das Subharchord – Ein umfassendes musikalisches Portrait“ ist die einzige existierende Aufnahme mit Erläuterungen des 1980 verstorbenen Ostberliner Subharchord-Erfinders Ernst Schreiber zu hören. (leu)

Das erste Mal gehört hatte der Künstler um die Jahrtausendwende von der Existenz eines Subharchords aus der DDR in einem Treptower Elektronik­laden, wo er einen Verkäufer beiläufig davon erzählen hörte. „Ich habe sofort nachgeforscht, in Büchern, Bibliotheken, im Internet, aber absolut nichts gefunden. Nur im Netz gab es ein Foto aus dem Ringve-Museum im norwegischen Trondheim, ohne jegliche Information.“ Die Neugierde Mierschs wurde obsessiver.

Bald fand er heraus: Die Geschichte des Subharchords beginnt in den Fünfzigerjahren in Ostberlin. Dort wollen die DDR-Kulturplaner die Verbreitung der klassischen Orgelmusik mit einem modernen kompakten Instrument fördern. Helfen soll eine Elektronik-Orgel, von der man sich auch einen Verkaufsschlager erhofft – ähnlich der elektromechanischen Hammond-Orgel aus den USA, deren Klang man allerdings „zu süßlich“ findet und zu übertrumpfen gedenkt. Das DDR-Instrument soll ein sehr spezielles werden, mit dem man Kinderfilme vertonen sowie Neue Musik und Tanzmusik produzieren kann.

Auf Anregung des berühmten Komponisten Paul Dessau besinnt man sich auf das in den Dreißigerjahren erfundene Trautonium. Mit diesem Gerät, das sogenannte subharmonische Töne erzeugt, die in der Natur nicht vorkommen, haben Dessau und der Komponist Oskar Sala vor dem Krieg zusammen gearbeitet. 1959, just als Sala mit seinem Trautonium in einem Westberliner Studio am Soundtrack zum Hitchcock-Klassiker „Die Vögel“ arbeitet, beginnt man in Ostberlin mit der Konstruktion eines leicht bedienbaren Mixturinstruments, das technisch alles Bisherige toppen soll. Im „Labor für akustisch-musikalische Grenzprobleme“ des Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamts in Adlershof beginnen Experten, an einer Klangmaschine für futuristische Sounds zu tüfteln. Insbesondere der Toningenieur Ernst Schreiber aus Prenzlauer Berg und der Komponist Addy Kurth entwickeln das Trautonium dank der revolutionären Halbleitertechnik bis 1962 zum Subharchord weiter. Das Ergebnis klingt wirklich wenig süßlich, dafür aber merkwürdig. Der innovative Technikkasten bringt Brumm- und Knarztöne sowie Klangcollagen, „Ernste Musik“ wie flotte Tanzmusik hervor. „Die Subharmonien waren etwas ganz Besonderes im Vergleich zu allen anderen Synthesizerklängen“, sagt Analogfreak Miersch. „In diesem Segment der elektronischen Klangerzeugung war die DDR tatsächlich dem internationalen Standard weit voraus.“

Auch das mag das staatliche Plattenlabel Eterna bewogen haben, die avantgardistischen Subharchord-Klänge 1964 auf der mit psychedelischem Cover versehenen LP „Experimentelle Musik“ zu veröffentlichen. Umso erstaunlicher, wo doch normalerweise solch eigentümliches Tonschaffen von den meisten Kulturaufsehern skeptisch betrachtet wurde. Sozialistischer Realismus war das jedenfalls nicht. Andererseits träumte man zu dem Zeitpunkt noch von einer schönen Export-Karriere des Geräuschapparats. Immerhin wurde das Subharchord (“Elektronische Klänge für Studios und Bühnen“) groß auf der Leipziger Messe 1965 präsentiert. Doch das Ende vom Lied war, dass nur eine Kleinserie von sieben oder acht Stück von einer Firma in Sachsen hergestellt wurde. Sie wurden vorwiegend in die sozialistischen Bruderstaaten verkauft, nur ein Exemplar ging an den norwegischen Rundfunk.

Dass der Absatz so bescheiden war und plötzlich ganz einbrach – dazu hatten in gewisser Hinsicht auch ein paar Hippies in San Francisco beigetragen. Mitte der 1960er Jahre hatte der Technikpionier Don Buchla zusammen mit dem Avantgarde-Musiker Morton Subotnick an der US-Westküste bei der Entwicklung eines analogen Synthesizers zusammen gearbeitet, der mit „Spannungssteuerung“ funktionierte. Manfred Miersch: „Durch diese Erfindung explodierten die Möglichkeiten der Klangerzeugung ins Zehntausendfache. Der Buchla-Synthesizer wurde live für den Soundtrack etlicher Acid-Test-Veranstaltungen eingesetzt.“ Kurz darauf entwickelte auch Robert Moog seinen modularen Synthesizer, der zudem mit einer Klaviatur versehen war und vom Musiker Walter Carlos bespielt wurde – ein weltweiter Erfolg. „Jeder wollte nun Moogs Synthi-System haben, die Beatles, die Stones, alle. Für die Vermarkter des DDR-Subharchords war das tragisch.“

„Das Subharchord kam zum falschen Zeitpunkt heraus“

Wiederentdecker Manfred Miersch

Die Klangspuren des Subharchords finden sich daher vor allem in DDR-Filmen. Filmkomponist Karl-Ernst Sasse nutze es für den Soundtrack des utopischen Defa-Streifens „Signale“. Stücke wie „Kosmos-Marsch“ oder „Die Erde grüßt Euch, Kosmonauten“ bezeichnet Manfred Miersch Jahrzehnte später als „Outer-Space-Pop von suggestiv-sonderbarer Schönheit“. Rockmusiker verwendeten das Subharchord kaum. Lediglich die tschechoslowakische Band Collegium Musicum nutzte es im Fernsehstudio Bratislava für eine Plattenaufnahme. Dort wurde es 1968 auch einmal dem legendären Avantgardemusiker Karl-Heinz Stockhausen vorgeführt.

Zu speziell und zum falschen Zeitpunkt herausgekommen:So fasst Manfred Miersch heute das Schicksal des Subharchords zusammen. Dass es in Vergessenheit geriet, erklärt sich der Wiederentdecker auch so: „Mit vielem, was in der DDR ent­wickelt wurde, sind die Ost­deutschen nach der Wende wie mit einer Peinlichkeit verfahren.“

Der Westler Miersch indes fand 2002 in einem Studio der Akademie der Künste einen alten Prototypen und in einer Abstellkammer der früheren DDR-Rundfunkstudios in Oberschöneweide sogar ein Serienmodell. Er setzte sich auch dafür ein, dass Exemplare restauriert wurden. Eins davon steht im Deutschen Technikmuseum Berlin. Auf diesem durfte Manfred Miersch auch Stücke für seine 2015 auf dem eigenen Krautopia-Label erschienene CD „Das Subharchord – Ein umfassendes musikalisches Portrait“ einspielen. Darüber hinaus hat der Berliner das Gerät als Filmklanggeber wiederbelebt und erstmals seit Jahrzehnten einen Animationsfilm mit dem Subharchord vertont. Miersch schuf die Filmmusik für den Trickfilm „Kontrapunkt“ von Gaby Schulze. Das Museum in Trondheim animiert derweil Musiker dazu, auf dem Subharchord vor Ort sogar zu musizieren. Ganz zur Freude von Manfred Miersch: „Technik muss leben!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen