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Mal was anderes ausprobieren

BLICK VON AUSSEN Jeden dritten Sonntag ist das Bröhan-Museum für Kinder reserviert: Unsere dänische Gastautorin Henriette Harris hat mit Tochter und Freundin die aktuelle Ausstellung, „Zeitenwende. Von der Berliner Secession zur Novembergruppe“, besucht

von Henriette Harris

Eine dänische Kollegin hat ihre Kinder in Paris großgezogen. Vor einigen Jahren hat sie eine Kolumne geschrieben, die in Dänemark für Aufruhr sorgte. Ihr fünfjähriger Sohn kam von seiner École maternelle und erzählte, dass die Kinder einen Elefanten zeichnen sollten. Die Lehrerin hat den Elefanten seines Freundes vor den Augen der Klasse zerrissen. Grund: Der Elefant war lila. Als die Mutter bestürzt fragte, wie der Sohn das empfand, fand er es gerecht: „Jeder weiß doch, dass Elefanten nicht lila sind, Mama.“

Ich weiß nicht, wie die Museumspädagoginnen im Bröhan Museum mit Elefanten umgehen, aber was Landschaften und Gesichter betrifft, sind sie ziemlich locker. Ich stehe mit 33 Kindern, fast genauso vielen Eltern und den Museumspädagoginnen Conny und Steffi vor einem Bild von Max Pechstein. Es heißt „Rote Häuser mit Windmühle“ und ist von 1922. Conny fragt die Kinder, ob es eine Landschaft darstelle. Ein kleiner Junge mit roter Brille und Polizistenschirmmütze sagt: „Ja, weil es Wasser gibt.“ Conny sagt, es sei kein Wasser, es seien blaue Felder. Vielleicht hätte Pechsteins Bild nach Meinung des kleinen Polizisten zerrissen werden sollen, jedenfalls guckt er ziemlich skeptisch. Blaue Felder?

Wohnen vor 100 Jahren

Das Bröhan-Museum

Das Bröhan-Museum hat seinen Namen von Karl Bröhan, der die Sammlung zu Jugendstil, Art déco und Funktionalismus aufgebaut hat. Schlossstraße 1a in Charlottenburg, Di.–So. 10–18 Uhr

Aktuell läuft „Zeitenwende – Von der Berliner Secession zur Novembergruppe“. Heute findet ab 18 Uhr eine Lesung mit Musik statt: „Ein bisschen Revolution ist mitunter gar nicht übel“

Jeden 3. Sonntag im Monat beginnt um 11 Uhr der Familiensonntag

Im Bröhan-Museum in Charlottenburg gibt es jeden dritten Sonntag im Monat einen Fami­lientag für Fünf- bis Zwölfjährige. Jedes Mal gibt es ein Thema, zum Beispiel: „Wie wohnte man vor 100 Jahren?“ oder „Neumodisch!“ über Mode und Frauen, die keine unbequemen Klamotten mehr tragen wollten. Heute ist „Von Bäumen, Seerosen und blauen Bergen“ angekündigt. Meine 13-jährige Tochter konnte ich nicht dafür gewinnen. Sie schaut einen Film namens „Pitch Perfect II“ und ist der Ansicht, dass ich selbst ein Museum bin. Als ich beim Tod von David Bowie eine Träne fallen ließ, fragte sie: „Wer ist das?“ Erst als Anna Kendrick, eine junge US-Schauspielerin, die fast auch meine Tochter sein könnte, etwas über Bowie getwittert hat, ist sie aufgewacht. Die zehnjährige Rebekka aber kann ich mitnehmen. Aber auch sie sagt erst zu, als ihre Freundin Marlene verspricht mitzukommen. Das freut mich. Marlene kenne ich, seitdem sie fünf ist. Sie macht nie Probleme.

Museumspädagogin Conny erklärt die Sache mit den blauen Feldern mithilfe einer Geschichte. Sie sei bei einer Malerin zu Besuch gewesen, sie hätten Kuchen gegessen. Die Malerin wollte, dass Conny am nächsten Tag wiederkomme. Dann würde sie ihr Porträt malen. Am nächsten Tag hätten sie wieder Kuchen gegessen (die Geschichte fängt an, mir und den Kinder zu gefallen) und die Malerin habe ihr Porträt gemalt. Als es fertig war, war Conny unzufrieden. Ihre Stirn war rot und lila. Aber die Malerin sei ganz ruhig gewesen und habe gesagt: „Ich habe dich so gemalt, wie ich dich empfunden habe. Und weil du nicht so eine bist, die immer ganz brav sitzt, musste ich dich so malen. Bunt im Gesicht.“

Ob unserem kleinen Polizisten diese Erklärung ausreicht: fraglich. Er scheint ein Pragmatiker zu sein. Er war es nämlich auch, der die allererste Frage, Was ist eine Landschaft?, wie folgt beantwortet hat: „Das ist, wenn jemand etwas aufgebaut hat. Ich habe zum Beispiel neulich das Kolosseum aufgebaut.“ Man könnte natürlich meinen, dass das antike Theater von den Autoabgasen so verwüstet ist, dass es Teil der römischen Landschaft geworden ist, aber man sieht, dass Conny nicht wirklich an das Kolosseum dachte. Marlene rettet sie. Sie sagt, dass eine Landschaft Berge, Seen und Wälder sein können. Schlaues Kind. Sie und ich haben auch am gleichen Tag Geburtstag.

Ich war zuvor noch nie im Bröhan-Museum. Es ist ein Museum für Jugendstil und Art Déco in der wunderschönen Schloßstraße, wo die Museen eng an eng nebeneinanderliegen. Wir sind mit dem Auto gekommen an einem Wintertag. Sicherheitshalber. Weil sich die S-Bahn, wenn Schnee gefallen ist, immer so benimmt, als wäre sie noch nie S-Bahn gefahren. Angesichts des Wetters erwarte ich wenige Kinder, aber offensichtlich interessieren sich Berliner Kinder eher für impressionistische und expressionistische Landschaften als für Rodeln und Schneeballschlacht. Eine Horde von Kindern ist aufgetaucht, die meisten sind zwischen fünf und acht Jahre alt, und besonders Rebekka guckt sich schon ein bisschen teenagermäßig um. Marlene hat zwei kleine Geschwister und ist deshalb nicht ganz so arrogant.

Die Kinder zeichnen selbst eine Landschaft. Es gibt Buntstifte und Kreide

Die Truppe zieht erstaunlich gesammelt und ruhig durch die Säle. Vor einem Bild von Theo von Brockhusen machen wir halt. Es zeigt Bäume mit Apfelblüten, und Conny fragt, warum er die Bäume mit Strichen gemalt hat. Weil er bei Vincent van Gogh abgeguckt hat, denke ich. Aber ein kleines Mädchen mit roten Punkten auf seinem blauen Pulli hat die bessere Antwort: „Weil er auch mal was anderes ausprobieren wollte“, sagt sie. Wir gehen weiter zu einem Bild von Curt Herrmann. Toller Künstler, dessen Namen ich noch nie im Leben gehört habe. Herrmanns Bild von 1896 heißt „Mädchen (Sophie Herz) im Kahn beim Seerosenpflücken“.

Sophie beim Pflücken

Später schaue ich bei Wikipedia nach und erfahre, dass er Gründungs- und Vorstandsmitglied der Berliner Secession war und sich von niederländischen Malern aus dem 16. Jahrhundert inspirieren ließ. Er hat auch die seerosenpflückende Sophie geheiratet. Davon erzählt Conny aber nichts. Der Polizist kann noch nicht lesen, oder er steht zu weit weg. Jedenfalls meint er, dass man auf dem Bild eine Person sieht, die angelt. Wäre auch sinnvoller. Gegen Ende gehen wir ins Atelier. Die Kinder zeichnen selbst eine Landschaft. Es gibt Buntstifte und Kreide, aber keine Wasserfarben, weil es bei so vielen Kindern nicht gut gehe, wie Conny sagt. Alle setzen sich hin und fangen an. Jetzt sind sie noch ruhiger. Ein kleines Mädchen trägt eine Prinzessinnenkrone, der Polizist hat seine Mütze abgenommen. Ein Mädchen mit ­großen, grauen Augen und dunklen Haaren malt einen Baum. Sie ist fünf Jahre alt. Sie erzählt, sie sei schon mal hier gewesen. Sie fand es so schön und wollte zurück. Ihr Namen schreibt sie selber auf meinen Block. „LU­BABA“ steht jetzt da. Sie heißt tatsächlich so, erzählen mir ihre Eltern, als sie von ihrer Runde zurückkommen.

Als Rebekka und Marlene mit ihren Bildern fertig sind, wollen wir gehen. Rebekka hat einen roten Baum mit Herzfrüchtchen und einem Fuchs in der Krone gemalt. Marlene, die oft Hunger hat, sagt, dass ihr Vater ein Café empfohlen hat. Das Café liegt gegenüberin der Sammlung Scharf-Gerstenberg. Die Sammlung ist surrealistische Kunst. Das Café ist nicht sur­rea­listisch. Es hat große Fenster, und wir essen Pflaumenkuchen und trinken Bionade.

Die Mädchen fanden es gut im Bröhan-Museum. „Auch wenn alle anderen Kinder ungefähr drei Jahre alt waren“, sagt Rebekka. Marlenes Lieblingsmuseum ist aber immer noch das Museum für Kommunikation: „Es gibt mehr Action. Man kann mehr machen. Und es gibt überall Telefone, die klingeln“, erzählt sie. Rebekkas Favorit, wo sie schon tausendmal war, ist immer noch das Museum für Naturkunde. „Weil die Dinos so cool sind“, sagt sie. Na ja. Aber man muss auch mal was anderes ausprobieren.

Die Autorin lebt als Journalistin in Berlin und schreibt für dänische Medien. Sie hat ein Buch über Berlin (auf Dänisch) geschrieben, aber die Stadt ist für sie noch längst nicht aus­erzählt. Dieser Text ist Teil einer Serie über Orte, die sie in Berlin überraschen

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