Die gebotene Härte

Heute debattiert die Hamburger Bürgerschaft über eine „Geschlossene Unterbringung“ für straffällige Jugendliche. Ohne Einwilligung wurden Psychopharmaka verabreicht, die sozialpädagogische Arbeit wurde teilweise von einem privaten Wachdienst übernommen. Die Chronik eines Skandals

von Daniel Wiese

Es war im Juli 2002, als Hamburgs Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram ihr Konzept für eine „Geschlossene Unterbringung“ jugendliche Straftäter vorstellte. Es gelte, „zügig, konsequent und mit der gebotenen Härte“ vorzugehen, sagte die sie und kündigte an, in Hamburg 90 Arrestplätze zu schaffen. 50 davon sollten in einer ehemaligen Schule in der Feuerbergstraße nahe des Flughafens Fuhlsbüttel eingerichtet werden, wo bis dahin der Kinder- und Jugendnotdienst residierte.

Die Ankündigung der Senatorin besiegelte die offizielle Abkehr des CDU-Senats unter Bürgermeister Ole von Beust vom Konzept „Menschen statt Mauern“, mit dem die Sozialdemokraten lange Zeit in Hamburg regiert hatten. Mit 90 Arrestplätzen wäre Hamburg bundesweit in Führung gegangen, 2002 gab es in ganz Deutschland davon gerade 140.

Dezember 2002: Bei der Eröffnung der „Geschlossenen Unterbringung“ ist die Zahl der Plätze auf zwölf geschrumpft. Der Öffentlichkeit werden Räume gezeigt, die mit Ikea-Möbeln eingerichtet sind, statt Gittern gibt es moderne, ausbruchssichere Fenster. „Das Ticket für die Einweisung“, sagt ein Behördensprecher, sei „keine Straftat, sondern die Kindeswohlgefährdung“. Um diese festzustellen, wird ein eigenes „Familien-Interventionsteam“ eingerichtet. Im Heim selbst sollen sich zehn Sozialpädagogen um die Jugendlichen kümmern.

In den folgenden Monaten fällt die „Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße“ vor allem durch eine Serie von Ausbrüchen auf. Mal entweichen die straffälligen Jugendlichen, indem sie Türen aufstemmen, mal nutzen sie einen Ausgang mit ihren Erziehern. Im März 2003 fordert der zuständige Staatsrat Klaus Meister (SPD) von den Mitarbeitern der Einrichtung „keine Zimperlichkeiten“, die „Sicherheitserfordernisse“ müssten gewährleistet sein. Im April rollt der erste Kopf, er gehört dem Leiter des Landesbetriebs Erziehung und Berufsbildung, dem Träger der Einrichtung. Im Juli 2003 wird um das Gebäude ein 3,80 Meter hoher Zaun errichtet. Die private Sicherheitsfirma „Securitas“ wird mit Nachtwachen beauftragt. Die Firma war zuvor bei der U-Bahn-Wache tätig.

In ihrer Ein-Jahres-Bilanz im Januar 2004 räumt die Sozialbehörde Personalverluste durch „hohe Reibung“ ein. Die Hälfte der Mitarbeiter hatte in diesem Jahr gekündigt.

Eine neue Dynamik gewinnt die Diskussion um die „Geschlossene Unterbringung“ im Dezember 2004, als kurz vor Weihnachten erneut zwei Jugendliche ausbrechen. In einem Radiointerview berichtet einer von ihnen von gewalttätigen Übergriffen durch das Personal und von der Praxis, die Heiminsassen durch Medikamente ruhig zu stellen. Letzteres wird von offizieller Seite bestätigt.

Die rot-grüne Opposition in der Hamburger Bürgerschaft beginnt verstärkt nachzubohren. Im Januar 2005 wird bekannt, dass in der Feuerbergstraße fünf Erzieher und 15 Securitas-Mitarbeiter auf sechs Jugendliche kommen. Ein Sprecher der Sozialbehörde verteidigt den Einsatz des Sicherheitsdienstes wegen der „erhöhten Kesselsituation“.

Im April 2005 wird ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Thema eingesetzt. Im Mai kommt heraus, dass die Vergabe der Psychopharmaka im Heim rechtswidrig ohne die Zustimmung der Sorgeberechtigten erfolgte. Im September berichtet der Heimleiter, dass die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma im Krankheitsfall Erzieher ersetzt hätten und teilweise mit den Jugendlichen allein waren.

Im Oktober 2005 werden weitere Einzelheiten bekannt. So wurden in der Feuerbergstraße die Briefe der Jugendlichen gelesen, der Kontakt zu den Anwälten fand unter Aufsicht statt, es wurden Aidstests ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten durchgeführt. Die Kosten sprengen derweil alle Berechnungen: Der Tagessatz pro Insasse beläuft sich auf fast 900 Euro.

Vergangene Woche äußert sich Schnieber-Jastram erstmals zu den Vorwürfen von Opposition und Medien und räumt Fehler ein. Vorgestern, bei einer Fraktionssitzung der CDU, stellt sich Ole von Beust hinter seine Stellvertreterin. „Was schief gelaufen ist, wird so schnell wie möglich abgestellt“, so der Bürgermeister. Einen Grund für einen Rücktritt sieht er nicht. Am heutigen Mittwoch debattiert die Hamburger Bürgerschaft in der „Aktuellen Stunde“ über das Thema.