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Die Lotsen gehen von Bord

Parlament Die Stimmung unter den Abgeordneten ist vergiftet, ein Teil der Fraktion unterstützt nun die Linkspartei, die Wählerschaft hat sich abgewandt. Was ist geblieben von dem Versprechen der Piraten, alles anders zu machen?

Text Malene GürgenFotos Julia Baier

Dienstagnachmittag, 15.15 Uhr, Raum 107 im Abgeordnetenhaus, die 159. Fraktionssitzung der Piraten hat vor wenigen Minuten begonnen – und plötzlich ist es wieder da. Angriffe, Unterstellungen, Beleidigungen. „Bigotte Schwachsinns-Vollidioten“, sagt einer, „sinnfreie Scheißlaberei“ ein anderer.

Das Gespenst der Piraten ist zurück: erbitterter interner Zwist, ausgetragen am liebsten vor laufender Kamera. Die Frage: Wohin mit dem Vermögen der Fraktion, wenn diese sich nach den Wahlen im Herbst auflöst? Mit Vermögen ist die „Zuspätkommerkasse“ gemeint, heißt es zu Beginn der Diskussion, die allerdings nur mit einem „niedrigen dreistelligen Betrag“ gefüllt sei, weil der Großteil der Abgeordneten immer vergesse, dort einzuzahlen. Mehr als anderthalb Stunden dauert der Streit.

Vielleicht ist es unfair, ­gerade an dieser Fraktionssitzung den Zustand der Berliner Piraten abzulesen. Schließlich ist schon lange keine Sitzung mehr so eskaliert, schließlich hält die Fraktion, obwohl mittlerweile fast die Hälfte ihrer Mitglieder aus der Partei ausgestiegen ist. Trotzdem: Von den Piraten ist auch in Berlin nicht mehr viel übrig. Momentan liegen sie bei rund 3 Prozent, in der ganzen Stadt gibt es nur noch rund 850 Mitglieder, aktiv sollen davon deutlich unter 100 Leute sein. Und auch wenn die Partei an diesem Wochenende eine neue Liste für die kommende Wahl aufstellt – dass die Fraktion sich bereits mit dem Nachlass beschäftigt, spricht eine deutliche Sprache.

Am Donnerstagabend dann ein weiterer Paukenschlag für die Partei: 35 Ex-Piraten geben in einer gemeinsamen Erklärung bekannt, im Wahlkampf die Linkspartei unterstützen zu wollen. Mit dabei: der Fraktionsvorsitzende Martin Delius sowie die Abgeordneten Oliver Höfinghoff und Simon Weiß. Damit ist auch in Berlin von den Piraten nicht mehr viel übrig.

Dabei hatte doch alles so gut begonnen.

„Dass wir diese 8,9 Prozent holen, das hat uns niemand zugetraut, das war Wahnsinn“, sagt Susanne Graf, und dabei blitzen die Augen der sonst so pragmatischen Abgeordneten, die von sich selbst sagt, sie komme „aus der Nerd-Ecke der Partei“. Graf, familienpolitische Sprecherin der Fraktion, sitzt im Spielzimmer des Abgeordnetenhauses, auf dem Schoß ihren acht Monate alten Sohn und erzählt von ihren Anfängen als Piratin: Eigentlich „völlig unpolitisch“, geriet sie 2009 an die Piraten, weil sie in der Schule eine Arbeit zum Thema Vorratsdatenspeicherung schreiben wollte. Als sie kurz nach ihrem ersten Treffen einen Vorschlag für ein neues Logo über den Mailverteiler schickte, machte die damals 16-Jährige eine neue Erfahrung: „Ich wurde absolut ernst genommen, sofort. Das habe ich bei den Piraten immer am meisten gemocht, diesen Grundsatz: Wichtig ist nicht, von wem eine Idee kommt, sondern nur, ob sie gut ist.“ Mit 19 zieht Graf ins Abgeordnetenhaus ein.

Lob für sachliche Linke

Landesparteitag

Beim Landesparteitag an diesem Wochenende wollen die Piraten ihre Kandidatenliste für die Berlin-Wahl am 18. September aufstellen. Fünf aktuelle Abgeordnete wollen offenbar wieder kandidieren. In der jüngsten Wahlumfrage kommen die Piraten nur auf 3 Prozent und bleiben damit unter der Fünf­prozenthürde für einen erneuten Einzug ins Parlament. (sta)

„Jeder, der sich damals in der Partei engagierte, hat früher oder später ein Amt ­bekommen“, sagt Oliver Höfinghoff. Als linker Aktivist kam er ebenfalls 2009 zur Partei: „Die Piraten waren neu und anders, das fand ich spannend“, sagt er, „ich wollte mit beeinflussen, dass das keine neue FDP wird, sondern dass es ein linkes Profil gibt.“ Heute ist er ernüchtert: „Die Partei ist komplett gescheitert, und zwar zu großen Teilen an sich selbst.“ Nachdem sich der liberale Flügel der Partei auf Bundesebene durchsetzte, trat Höfinghoff im September 2014 aus der Partei aus. An der Linkspartei gefällt ihm, dass dort Konflikte weniger persönlich ausgetragen würden – „die bleiben einfach sachlich“, sagt er.

Während sich die Partei zerlegte, versuchten die Abgeordneten in Berlin, ihre Wahlversprechen umzusetzen – und stellten schnell fest, dass im Parlament einiges anders läuft, als sie sich das vorgestellt hatten. „Wir sind da blauäugig drangegangen, wir haben wirklich geglaubt, dass die besseren Konzepte gewinnen würden“, sagt Höfinghoff. „Damit sind wir gegen Wände gerannt, das war eine ordentliche Desillusionierung.“

Susanne Graf hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Ich dachte, wenn ich einen guten Antrag stelle, dann wird der auch angenommen, aber das war ja unmöglich, weil ich aus der Piratenfraktion komme.“ Sie habe dann schnell gelernt, dass Politik anders funktioniere: „Wenn du eine gute Idee hast, kommt jemand aus den Regierungsfraktionen zu dir, und am Ende werden dann deine Einfälle als Koalitionsantrag verkauft und durchgesetzt.“

„Klarmachen zum Ändern!“, lautete der Wahlkampfslogan der Piraten. Nach viereinhalb Jahren im Abgeordnetenhaus ist klar: Geändert haben sie sich vor allem selbst. Resignation statt Euphorie, Kleinkrieg statt Transparenz: „Viele Fehler wären vermeidbar gewesen, wenn wir von anderen Organisationsgründungen gelernt hätten“, sagt Fabio Reinhardt. Reinhardt ist einer der bekannteren Abgeordneten, als flüchtlingspolitischer Sprecher hat er sich ein eigenes Profil aufgebaut – über die Partei spricht er, obgleich noch Mitglied, nur noch auf einer Metaebene, als handele es sich um einen fremden Gegenstand, den es wissenschaftlich zu untersuchen gelte. „Der Partei und auch der Fraktion ist es nicht gelungen, sich so mit der Gesellschaft zu vernetzen, wie es für einen wirklichen Wandel notwendig gewesen wäre“, sagt er. Das Abgeordnetendasein bringe zwar Privilegien mit sich – gesellschaftliche Veränderungen aber, das habe er gelernt, ließen nur im Parlament nicht erreichen. Dazu die vielen internen Konflikte, die Skandale: „Dass Transparenz nicht immer richtig ist, dass nicht alles in die Öffentlichkeit gehört, haben wir sehr deutlich gelernt.“

Viel zu verdanken

„So ein Mindestmaß an Umgangsformen, das habe ich mir oft gewünscht“, sagt auch Philipp Magalski. Der 42-Jährige, in der Piratenfraktion Sprecher für Umweltschutz und vor seinem Einzug jahrelang in Umwelt-NGOs aktiv, ringt mit sich selbst: Trotz aller Enttäuschungen will er den Glauben an die Partei nicht verlieren – mit einem guten Wahlkampf halte er den Wiedereinzug „nicht für unwahrscheinlich“, beharrt er.

Überhaupt: Beim Verhältnis zur Partei gibt es keine Zwischentöne. Die einen haben sich vollständig von ihr distanziert, die anderen halten eherne Treue: „Ich habe der Partei so viel zu verdanken, das geht nicht einfach weg“, sagt Graf, die ihre Politik immer noch vor allem daran bemisst, wie viel parteiinterne Zustimmung ihre Vorschläge bekommen. „Das ist wie in einer Partnerschaft: in guten wie in schlechten Zeiten“, sagt Magalski.

Magalski und Reinhardt gehören zu den wenigen Abgeordneten, die erneut antreten wollen – große Chancen rechnen aber auch sie sich nicht aus. „Vermutlich werde ich in meinen alten Beruf zurückkehren“, sagt Magalski und fügt schnell an, dass er sich natürlich auch dem „Wiederaufbau der Parteistrukturen“ widmen wolle. „Insgesamt scheint einiges dafür zu sprechen, dass das Überspringen der Fünfprozenthürde ebenso unwahrscheinlich ist, wie dass dann die gute Arbeit der Fraktion fortgesetzt würde“, lässt Reinhardt am Donnerstag gemeinsam mit seiner Kandidatur verlauten.

Mit ihren Themen – Fami­lien­politik, Flüchtlinge, Umweltschutz – haben sich die Abgeordneten über die Jahre immer enger verbunden. Mit ihrem Dasein als Parlamentarier aber konnte sich keiner wirklich anfreunden. Nicht unwahrscheinlich, dass die meisten Piraten vor allem eines sind, wenn der letzte Ausschuss, die letzte Fraktionssitzung über die Bühne gegangen sind: erleichert.

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