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Hertha im Höhenflug

Fußball Der Hauptstadtklub löst wieder überregionales Interesse aus. Er kann in der Rückrunde jetzt nur noch wenig verlieren. An der Türkischen Riviera haben sich die Berufsfußballer von Hertha BSC auf den Rückrundenstart am heutigen Samstag vorbereitet

von Frank Hellmann

Die Tore sind geschlossen, Zuschauer nicht erwünscht – mittlerweile ist das gängige Praxis bei den meisten Bundesligisten. Umso näher der Spieltag rückt, desto weniger kriegt der gemeine Kiebitz von einem Training mit. Auch Hertha BSC macht da vor dem Rückrundenstart gegen den FC Augsburg am Samstag keine Ausnahme. Genau wie Donnerstag blieb auch am gestrigen Freitag das Trainingsgelände auf dem Schenckendorffplatz unweit des Olympiastadions für unbefugte Beobachter gesperrt. Die Vereine wollen ungestört arbeiten. Aber vor allem wollen sie verhindern, dass Spione des jeweiligen Gegners Aufzeichnungen bei einstudierten Standardsituationen oder Spielzügen machen.

Diese Praxis ist längst kein Hirngespinst, sondern Alltag im Oberhaus geworden. Besonders zu besichtigen war das im türkischen Belek, wo sich auch die Berliner Berufsfußballer – bis zum vergangenen Wochenende untergebracht in einem luxuriösen Golfhotel am Ortsausgang – akribisch auf den Rückrundenstart vorbereiteten. Fast allerorts waren die Trainingseinheiten öffentlich zugänglich und irgendwo saßen oder standen Beobachter, die sich fleißig ihre Notizen machten.

Pal Dardai allerdings hatte an der Türkischen Riviera die Schwerpunkte ein bisschen anders gesetzt als mancher Kollege. Weniger Training, dafür mehr Spiele. Vor anderthalb Wochen fanden binnen 72 Stunden in der Türkei gleich drei Tests statt: Sieg gegen Hannover 96 (1:0), Unentschieden gegen Borussia Mönchengladbach (2:2), Niederlage gegen den VfL Bochum (1:4) – gegen den Zweitligisten spielte allerdings auch die zweite Garnitur.

Schlüsselfigur Pal Dardai

Ansonsten sah es überaus selbstbewusst und teilweise sehenswert aus, was die Hertha anbot. Gerade vom Härtetest gegen den Tabellennachbarn Gladbach schwärmten viele neutrale Betrachter. Berater, die lange nicht mehr diese Mannschaft gesehen hatten, fragten Journalisten nach Erklärungen für die Verwandlung.

Wer sich mit Dardai im Team-Hotel traf und ihn bat, auf das Jahr 2015 unter seiner Regie zurückzublicken, der erlebte einen aufgeräumt wie zielstrebig wirkenden Fußballlehrer. Und der gerne erklärte, wie der Höhenflug bis auf Platz drei zustande kam: „Einige enge Spiele haben wir gewonnen, weil wir gekämpft, gekratzt und gebissen haben. Aber wir haben auch eine Spielphilosophie und Spielkultur reingebracht.“

Der Mann, der zwischen 1997 und 2011 insgesamt selbst 297 Bundesligaspiele für diesen Verein absolvierte, ist zur Schlüsselfigur dafür geworden, dass sich die „alte Dame“ ein so schönes Kleid angezogen hat, dass Hertha nach zwei Abstiegen (2010 und 2012) auf einmal wieder überregional interessant geworden ist. Dardai braucht keine pathetischen Treueschwüre, um Glaubwürdigkeit, Verbundenheit und Bodenständigkeit nach außen hin zu transportieren.

Auch Manager Michael Preetz, der ja viel zu lange brauchte, um aus dem Schatten seines allmächtigen Vorgängers Dieter Hoeneß zu treten, hat es damit einfacher. Der 48-Jährige hat nicht nur im Sommer bei den Transfers eine gute Trefferquote mit Mitchell Weiser, Vedad Ibisevic, Niklas Stark und vor allem Vladimir Darida gelandet, sondern jetzt auch im Winter einen bemerkenswerten Deal eingefädelt. Dass das beim FC Bayern überzählige Talent Sinan Kurt nach Berlin gewechselt ist, um als 18-Jähriger den nächsten Schritt zu machen, sagt viel über die neue Attraktivität Herthas aus.

Und endlich scheinen die Gelder des 60-Millionen-Euro-Investments des Finanzinvestors KKR vernünftig angelegt. Erst im Frühjahr den Abstieg abgewendet, jetzt im Winter auf einem Champions-League-Rang: Das macht sexy.

Rückrundenstart

Hertha startet am heutigen Samstag mit einem Heimspiel gegen den FC Augsburg (15.30 Uhr) in die Bundesliga-Rückrunde. Derzeit stehen die Berliner überraschend auf Platz 3 der Tabelle: Champions-League-Rang. Hertha rechnet mit rund 40.000 Besuchern, bei erwarteten Temperaturen um den Gefrierpunkt sollten sie sich in Hertha-Wollmützen und blau-weiße Socken hüllen. Herthas zweites Spiel steht am Samstag darauf in Bremen an. (jut)

Immer mehr Hertha-Logos

Dardai registriert mit Stolz, „dass in der Stadt mehr Leute wieder das Hertha-Logo zeigen“. Im Fachmagazin Kicker, für viele eingefleischte Fans immer noch die wöchentliche „Fußball-Bibel“, sind am Montag alle Erstligisten einem Test unterzogen worden: Hertha stand auf der Doppelseite, in der auch Bayern und Dortmund analysiert worden sind.

Doch gemach, gemach. Dardai hat zu viel erlebt in diesem schnelllebigen Geschäft, um andere Ziele hinauszuposaunen. Natürlich soll die Augsburg-Partie genutzt werden, um die gute Stimmung zu erhalten: „Wir wollen das weiter in die richtige Richtung lenken.“ Und wenn die Ostkurve im Olympiastadion laut vom Europapokal singt, dann ist der Trainer der Letzte, der die Masse zum Schweigen bringt. Nur er selbst muss vorher nicht viel dazu sagen. „Ich glaube nicht, dass ich meiner Mannschaft unnötig Druck machen muss.“

Das Motto soll bis Mai nämlich sein: Hertha kann jetzt viel gewinnen und nur noch wenig verlieren. Selbst wenn der Einlass zu Champions oder Europa League am Ende doch so verschlossen bleibt wie vor einem Heimspiel der Eingang am Schenckendorffplatz.

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