: Auf Vergnügungsreise
Tourismus Vor 125 Jahren startete von Cuxhaven aus das erste Kreuzfahrtschiff. Heute haben Hamburg und Warnemünde die Küstenstadt abgehängt. Viele Touristen machen in Norddeutschland trotzdem nicht halt – sie fahren in Sonderzügen nach Berlin
von Hermannus Pfeiffer
Flüchtlinge und Migranten haben Albert Ballin reich gemacht. Der Hamburger Reeder, Jude und Freund von Kaiser Wilhelm II. führte als Generaldirektor die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft zur größten Schifffahrtslinie der Welt – heute heißt sie Hapag-Lloyd. Ballin ließ Zwischendecks auf den Überseedampfern einbauen, um Platz für Auswanderer zu schaffen. So konnte er sie vergleichsweise preiswert von Europa nach Amerika transportieren lassen. Ganz nebenbei erfand der Topmanager auch das Prinzip „Kreuzfahrt“.
Im Jahr 1891 – die Auswanderungswelle war abgeebbt – setzte er den neuen Hapag-Schnelldampfer für die erste Vergnügungsreise auf hoher See ein – heute vor genau 125 Jahren. „Aus einer ganz pragmatischen Idee“ heraus entstand der Kreuzfahrttourismus, sagt eine Hapag-Lloyd-Sprecherin.
Denn in jenem Winter lag die „Augusta Victoria“ ungenutzt auf Reede. Ballin schickte das Schiff auf Vergnügungsreise ins Mittelmeer. Am 22. Januar startete die „Augusta Victoria“ von Cuxhaven mit 174 Gästen aus Deutschland, England und Amerika zu einer zweimonatigen Reise. An Bord war auch eine 245 Mann starke Crew.
Die erste Kreuzfahrt auf dem nach der deutschen Kaiserin benannten Schiff war ein Erfolg – blieb aber ein Einzelfall. Schnelldampfer wie die „Imperator“ – mit über 4.000 Passagieren und mehr als 1.000 Mann Besatzung – querten möglichst schnell den Atlantik und fuhren nach Fahrplan. Das Flugzeug verdrängte später diesen Linienverkehr.
In den dreißiger Jahren hatte Ballins maritimer Tourismus unter den Nazis eine kurze Renaissance erlebt. Doch aus seinem Nischendasein tauchten die Kreuzfahrten erst vor wenigen Jahren wieder auf.
„Noch vor zwanzig Jahren war eine Kreuzfahrt nur etwas für wenige Betuchte“, sagt Torsten Schäfer vom Deutschen Reiseverband DRV. Es galt eine strikte Kleiderordnung. Schlips und Cocktailkleid waren Pflicht, wenn es abends an die Bar ging.
Doch dann starteten die „Clubschiffe“ der Rostocker Reederei Aida durch. „An Bord ging es ungezwungen zu, jüngere Zielgruppen wurden erschlossen“, sagt Schäfer. Das Rentnerparadies wandelte sich zum Event-Tempel. Ab 2007 investierte der britisch-amerikanische Weltmarktführer Carnival mehr als zwei Milliarden Euro in den Ausbau der Aida-Flotte.
Im vergangenen Jahrzehnt sprang der Anteil der Kreuzfahrtindustrie am gesamten deutschen Reisemarkt von nahe null auf 14 Prozent. Für den Boom sieht Schäfer mehrere Gründe: Jedes Jahr gibt es neue Schiffe, neue Restaurantformen und Spielmöglichkeiten für jede Altersgruppe. „Themenreisen“ wenden sich exklusiv an Schwule oder Heavy-Metal-Fans. „Und keine Reisebranche wird so stark medial beachtet“, sagt Schäfer. Der Sprecher des Reiseverbandes meint damit vor allem die ZDF-Serie „Traumschiff“. Dazu kommt der Trend zur Bequemlichkeit: Kreuzfahrer müssen ihren Koffer nur einmal ein- und auspacken – und können doch ein halbes Dutzend Urlaubsziele anlaufen.
Von Cuxhaven, dem Kreuzfahrtgeburtshafen, ist in der Branche kaum noch die Rede. Von hier stachen einst Ballins Atlantikdampfer mit Auswanderern in See. Aber verkehrstechnisch stehen Steubenhöft und Hapag-Hallen heute im Abseits. Warnemünde liegt landseitig günstiger.
Das im Juni eröffnete dritte Kreuzfahrtterminal im Hamburger Hafen soll 80 Millionen Euro gekostet haben.
Dafür gibt es auch neue Arbeitsplätze: Die Aida-Reederei zentralisierte ihre Operationszentralen mit 150 Beschäftigten in Hamburg.
Auch andere Berufsgruppen, wie Tänzer, Musiker oder Hotelfachkräfte und Unternehmen wie örtliche Verkehrsbetriebe oder die Gastronomie profitieren.
Für Warnemünde nennt die Uni Rostock konkrete Zahlen: Passagiere und Crews gaben in der Saison 2015 in der Stadt rund 15 Millionen Euro aus. Hinzu kommen Umsätze, die Busreisefirmen, Landausflugsagenturen oder Hafenbetreiber erzielen.
175 Schiffsanläufe meldete der Rostocker Hafen in der vergangenen Saison. Die mehrere hundert Meter langen Kreuzfahrtschiffe steuern die kleine Hafenstadt an der Warnow frühmorgens an. Im Sonderzug der Bahn werden dann viele der bis zu 4.000 Kreuzfahrer nach Berlin gefahren – abends geht`s zurück. Dann laufen die Schiffe wieder aus, zum nächsten europäischen Hafen.
Vor allem amerikanische Touristen verbinden mit Deutschland allein Berlin. Das ändern sollte die Olympia-Bewerbung von Hamburg, hoffte Sacha Rougier, neue Geschäftsführerin von Cruise Gate Hamburg. „Die Stadt ist international zu wenig bekannt“, sagt sie.
Wirtschaftssenator Frank Horch hatte die Managerin in Marseille, das jährlich 1,3 Millionen Kreuzfahrtpassagiere hat, angeheuert. In Hamburg gibt es erst seit 2002 Kreuzfahrtterminals. Bis heute landen nur halb so viele Menschen an. Noch. Die Neuorganisation des Kreuzfahrtgeschäftes solle „die Begeisterung der Bevölkerung aufnehmen“, sagt Rougier. Nirgends schauen so viele Menschen zu, wenn Kreuzfahrtschiffe in den Hafen einlaufen, wie am Elbdeich und dem Hamburger Hafen.
Im Sommer wurde das dritte Abfertigungsterminal auf Steinwerder eröffnet. Ein viertes wird in Politik und Wirtschaft gerade diskutiert. Für 2016 erwartet Rougier einen Zuwachs bei den Passagierzahlen von über 25 Prozent. Ein dickes Plus gegenüber den sinkenden Umschlagszahlen im Frachtverkehr. Und noch einen Vorteil bietet der touristische Hafenersatzverkehr: Selbst den dicksten Pötten wie der „Queen Mary 2“ reichen zehn Meter Wassertiefe. Dazu bedarf es nicht erst einer Elbvertiefung.
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