Reeder in Bedrängnis: Erfolgsmensch vor Gericht

In Bremen beginnt der Prozess gegen den erfolgreichen Schwergutreeder Niels Stolberg. Systematisch und über Jahre soll er Geschäftspartner betrogen haben.

Wie weit mag einer gehen für seine Firma? Niels Stolberg auf dem Weg zum Gericht. Foto: Carmen Jaspersen/dpa

BREMEN taz | Geschlagene 15 Minuten stand Niels Stolberg aufrecht und mit erhobenem Kopf im historischen Bremer Schwurgerichtssaal 218. Keiner der rund 30 Fotografen und Kameraleute, die sich am gestrigen Mittwochmorgen vor ihm aufgebaut hatten, sollte wohl ein Bild davon machen, wie er sitzt, auf der Anklagebank. Dann endlich kam das Gericht, Ersatzrichter und Ersatzschöffen inklusive, und die Kameraleute mussten gehen. 56 Verhandlungstage sind geplant, vielleicht geht es auch schneller – Stolberg will sich einlassen, „auch geständig“, kündigte sein Verteidiger an.

Niels Stolberg, das war einmal Bremens Vorzeigeunternehmer, ein junger, dynamischer Mann, erfolgreich in seinem Gewerbe, dem Schwerguttransport – Weltmarktführer sei er, sagte man. Zumindest war er so erfolgreich, dass er als Sponsor auftreten konnte: bei Werder Bremen etwa, der anderen Bremer Weltmarke. Aber Stolberg spendete auch für ein Projekt, das Mädchen hilft, die Opfer sexuellen Missbrauchs wurden. Er initiierte ein Kinder-Projekt für thailändische Tsunami-Opfer. Er gründete eine moderne private Oberschule mitten in Bremen und ein „Künstlerhaus“ auf der Insel Spiekeroog. Er förderte das Bremer Musikfest, war „Schaffer“ beim Schaffermahl. 2006 kürte ihn die örtliche Wirtschaft zum ihrem „Unternehmer des Jahres“.

2006 muss es auch begonnen haben – weiter reicht die Anklage der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht zurück –, dass ihm der Erfolg zu Kopf stieg.Stolberg bestellte 16 Frachtschiffe in China, für die er nicht das Eigenkapital hatte, die er also nicht finanzieren konnte. Den Banken soll er höhere Preise vorgegaukelt haben, so dass die nicht 70 Prozent als Kredit beisteuerten, wie es üblich ist, sondern mindestens 90 Prozent – in einem Fall soll die geliehene Summe sogar 104 Prozent des Kaufpreises betragen haben. Die niederländische Reederei Volharding spielte mit und schrieb Millionen-Rechnungen für das „Design“ der Schiffe – um den größeren Teil der Summen an Stolbergs Firma Erneste Trading GmbH weiterzuleiten.

Dann kam die weltweite Schifffahrtskrise: Er sei nicht betroffen, beteuerte Stolberg damals stolz vor der Presse; er arbeite in einem besonderen Segment und nicht im Containerverkehr. „Du musst den Mut haben, etwas Neues auszuprobieren“, verkündete Stolberg in der Zeitschrift Sailing ahead, da hatte er gerade den ersten Containerfrachter, gezogen von Flugdrachen, über die Weltmeere geschickt.

1995: In einem Zwei-Zimmer-Büro gründet der Diplom-Nautiker Niels Stolberg die Reederei Beluga Shipping GmbH.

1998: Beluga stellt das erste eigene Schiff in Dienst und spezialisiert sich auf Schwergut-Transporte.

2007: Beluga verfügt inzwischen über acht Containerfrachter und 32 Mehrzweckschiffe mit Schwerlastgeschirr. Den Jahresumsatz beziffert man auf 268 Millionen Euro.

2008: Niels Stolberg wird Schaffer beim traditionsreichen Bremer Schaffermahl, er ist oben angekommen in der Bremer Gesellschaft.

2009: Auf demTeerhof wird eine 30 Millionen Euro teure neue Unternehmenszentrale eröffnet.

2010: Stolberg braucht frisches Geld, ruft den US-amerikanischen Finanzinvestor Oaktree.

2011: Stolberg muss die Schlüssel seiner Firma abgeben, Betrugsanzeige und Insolvenz folgen.

Und dann kam 2009. Bilanz gefälscht, sagt die Staatsanwaltschaft, Scheinumsätze eingebucht. 2010 begann es demnach sehr eng zu werden: Stolberg brauchte dringend Bares, hatte den US-amerikanischen Hedgefond Oaktree um Hilfe gebeten. Eine „Heuschrecke“, sagte Stolberg später, und dass er „den Teufel gerufen“ habe. Stolberg, das Opfer.

In Wahrheit hat er den Vorwürfen zufolge den Konzern betrogen: Oaktree verlangte sechs Aufträge für neue Schiffe zu stornieren – Stolberg fälschte die Papiere. Auch Quartalsbilanzen wurden 2010 gefälscht, das sagt die Staatsanwaltschaft: Manchmal habe das Auftragsvolumen bei 25 Prozent dessen gelegen, was Stolberg den Geldgebern sagte, manchmal nur bei zehn Prozent. Oaktree stieg ein, lieh Geld, kaufte eine Mehrheit der Anteile – und schmiss bald darauf Stolberg aus einem seiner eigenen Unternehmen.

875 Seiten dick ist die Anklageschrift, verwirrend die Zahl der Firmen, zwischen denen Geld hin- und her geschoben wurde. Stolberg werde aussagen, erklärte sein Verteidiger, nachdem die Anklageschrift vorgetragen war, und das auch „geständig“. Er hat wohl kaum eine andere Wahl: Drei weitere angeklagte Mitarbeiter haben umfassend ausgesagt in der Hoffnung auf Strafminderung. Da wird er nicht behaupten können, bloß den Überblick verloren zuhaben. Allerdings geht auch die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Stolberg nicht aus privater Gier betrogen hat, sondern im Interesse seiner Firma: seines Lebenswerkes.

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