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Archiv-Artikel

Bundeswehr stößt bis zum Reichstag vor

Soldaten wollen das Parlament allerdings nicht besetzen, sondern nur 50. Geburtstag feiern – mit viel Tschingderassabum. Hunderte Rekruten werden von noch mehr Polizisten beschützt. Also halten sich Antimilitaristen an Preußengeneralen schadlos

AUS BERLIN FELIX LEE

Berlin zeigt sich heute von seiner grünen Seite. Während die weiträumig abgesperrte Wiese vorm Reichstagsgebäude übersät sein wird mit jungen Rekruten und 600 grün gekleideten Feldjägern, wird außerhalb der Sperrzone die Berliner Polizei mit mindestens 1.300 grünen Einsatzkräften Präsenz zeigen. Und auch auf den Bahnsteigen am neuen Hauptbahnhof wird die Farbe der Missgunst dominieren. Beamte der Bundespolizei stehen bereits seit Tagen an den Bahnsteigen und begleiten jeden einzelnen S-Bahn-Zug, der am Reichstagsgebäude vorbeifährt. Grund der Farbmonotonie in der Hauptstadt: Die Bundeswehr bläst zum Großen Zapfenstreich.

Anlässlich ihres 50. Geburtstags will die Bundeswehr heute zum ersten Mal in ihrer Geschichte direkt zum Bundestag vorrücken. Hunderte Soldaten, aufgereiht zu einem Großen Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude, da steht der Republik ein gruseliges Bild ins Haus.

„50 Jahre Bundeswehr entschieden für Frieden – 50 Jahre Parlamentsarmee“ lautet das Motto des Aufmarschs. Die Bundeswehr mit aktuell etwa 280.000 Soldaten begeht bereits seit Juni ihren Geburtstag mit Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet und will bis November weiterfeiern. Am 7. Juni 1955 war die Wehrverwaltung gegründet worden, am 12. November 1955 traten die ersten Freiwilligen ihren Militärdienst an. Bei der Feier heute Abend mit dabei: Neben 4.500 geladenen Gästen der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer.

„50 Jahre Bundeswehr sind 50 Jahre zu viel – Zapfenstreich abpfeifen!“ lautet hingegen das Motto der Gegendemonstranten. Bei der Zeremonie handele es sich um ein „offensichtliches Bekenntnis zur Militarisierung der Außenpolitik“, heißt es in dem Aufruf des Demo-Veranstalters „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“. Sie rechnen mit einigen Tausend Bundeswehrgegnern.

Der Große Zapfenstreich ist die höchste Form der militärischen Ehrenerweisung in Deutschland und geht zurück auf die Zeit der Leibeigenen im 16. Jahrhundert. Damals gingen Offiziere abends durch die Schenken und gaben mit einem Stockschlag auf Fasszapfen das Signal zur Nachtruhe. Anfang des 19. Jahrhunderts legte das preußische Militär das bis heute übliche Ritual fest. Seitdem beginnt der Große Zapfenstreich unter den Klängen des „Yorckschen Marsches“ mit dem Aufmarsch des Spielmannszugs, des Musikkorps, der Waffenzüge und der Fackelträger. Abschließend wird zusammen gebetet und es ertönt die Nationalhymne. Insbesondere in der NS-Zeit galt der Fackelzug als besonderer Höhepunkt des Rituals – was seitdem nicht nur bei Opfern des Nationalsozialismus finstere Assoziationen weckt.

Bis in die 90er Jahre tat sich die Bundesrepublik schwer mit militärischen Zeremonien, hatten sie doch den Charakter, einen starken und autoritären Staat zur Schau zu stellen, ein Ruf, mit dem sich das Nachkriegsdeutschland nicht so gern schmücken wollte. Doch seit der Wiedervereinigung bemühen sich Verteidigungsminister unterschiedlicher Couleur darum, den Großen Zapfenstreich und andere umstrittene Rituale wie zum Beispiel auch das Öffentliche Gelöbnis wieder salonfähig zu machen. Mit nur mäßigem Erfolg. Zumindest in Berlin verging nicht ein Öffentliches Gelöbnis ohne Proteste.

Um bei der großen Feier heute Abend Störungen zu verhindern, wollen die Sicherheitskräfte kein Risiko eingehen und haben aufgerüstet. Bereits seit gestern patrouillieren Polizeiboote auf der Spree, Hubschrauber umkreisen die Reichstagskuppel, Gullideckel werden überprüft und Autofahrer müssen den gesamten Innenstadtbereich umfahren. Die DemonstrantInnen haben eine Route zugewiesen bekommen, die kilometerweit vom Festareal entfernt ist.

Antimilitaristen lassen sich dennoch nicht einschüchtern. Anscheinend koordiniert sind seit gestern Früh bundesweit Standbilder von Preußengeneralen, Soldatenstatuen und anderen Militärbüsten beschmiert oder mit Farbbeuteln versehen – zumeist in roter Farbe.