: An jeder Schule gelesen
frankreich Zum Tod des französischen Schriftstellers Michel Tournier
Der französische Schriftsteller Michel Tournier ist mit 91 Jahren gestorben. Er lebte seit Langem zurückgezogen in einer ehemaligen Abtei in Choisel im Chevreuse-Tal bei Paris. Seine Romane gehören in der französischen Literatur zu den Standardwerken des letzten Drittels der 20. Jahrhunderts.
Mehrfach galt er als aussichtsreicher Anwärter für den Literaturnobelpreis. Eigentlich wollte der 1924 in Paris geborene Sohn eines Germanistenehepaars aber Universitätsprofessor werden. Wie seine Eltern hatte er eine starke intellektuelle Beziehung zu Deutschland. Er verbrachte dort seine Ferien und studierte ab 1945, trotz der noch frischen Erfahrung der Besetzung Frankreichs, an der Universität Tübingen deutsche Philosophie und namentlich Kant. Anschließend war er beim Pariser Verlag Plon als Übersetzer (unter anderem von Erich Maria Remarque) tätig. Als leidenschaftlicher Fotograf initiierte er 1968 das heute wichtigste Festivals der Fotografie in Arles.
Nur weil er zwei Mal am Zulassungsexamen für eine ordentliche Professur an der Philosophischen Fakultät in Paris gescheitert war, wandte er sich dem Roman zu. Das bezeichnete er später als glückliche Wende. Bereits sein Erstlingswerk „Vendredi ou Les Limbes zu Pacifique“ („Freitag oder Im Schloss des Pazifik“), seine Korrektur des Robinson-Mythos, wurde ein enormer Erfolg. Für seinen „Erlkönig“, in dem Nazis als Kinderverführer dargestellt sind, erhielt er 1972 den wichtigsten französischen Literaturpreis, den Prix Goncourt. Später saß er selbst in dessen Jury, fast vierzig Jahre lang.
Gelegentlich äußerte sich Tournier ohne Rücksicht auf absehbare Reaktionen zu Gesellschaftsfragen. Er war ein totaler Abtreibungsgegner. In einem Interview mit Newsweek forderte er die Todesstrafe für Schwangerschaftsabbrecher. Trotz solcher Provokationen gehören Tourniers Werke, darunter Bücher für Kinder und Jugendliche, seit Jahrzehnten zur Schullektüre in Frankreich.
Rudolf Balmer
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