Merkeldämmerung

Regierungskrise Die Umfragewerte für die AfD steigen, SPD und Union werden nervös. Der Druck auf die Bundeskanzlerin, ihre Flüchtlingspolitik zu korrigieren, wächst

Merkel allein zu Haus: bei der Debatte über die Kölner Übergriffe im Bundestag Foto: Markus Schreiber/ap

von Martin Reeh

BERLIN taz | Ist das schon Merkeldämmerung – oder der Anfang vom Ende ihrer Flüchtlingspolitik? Zwei Wochen nach den Kölner Übergriffen sind die Umfragewerte für die AfD deutlich gestiegen, die Kritik innerhalb der großen Koalition am Kurs der Bundeskanzlerin wächst.

Am Freitag und Samstag hatten die drei führenden Meinungsforschungsinstitute Emnid, Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen neue Höchststände für die AfD bei ihren regelmäßigen Wahlumfragen zur Bundestagswahl vermeldet. Demnach würden die Rechtspopulisten zwischen 9 (Emnid) und 11 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen) erhalten, wenn der Bundestag am nächsten Sonntag gewählt würde. Auch bei den Umfragen zu den im März anstehenden Landtagswahlen erreicht die AfD neue Höchststände. In Rheinland-Pfalz kletterte die Partei auf 8 Prozent, in Baden-Württemberg auf 10, in Sachsen-Anhalt sogar auf 15 Prozent. Die Union liegt bundesweit dagegen nur noch bei 37 bis 38 Prozent.

Nachdem am Freitag Unionsabgeordnete auf eine Unterschriftenaktion gegen Merkels Flüchtlingskurs verzichtet hatten, eröffnete Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) eine neue Attacke auf die Kanzlerin. „In den nächsten 14 Tagen werden wir die Bundesregierung schriftlich auffordern, an den Grenzen wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen“, sagte er dem Spiegel. „Wenn sie das nicht tut, wird der Staatsregierung gar nichts anderes übrig bleiben, als vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.“

SPD-Chef Sigmar Gabriel legte am selben Tag nach. Deutschland müsse „von einer chaotischen zu einer planbaren Zuwanderung kommen“, sagte er. Würden die bereits beschlossenen Maßnahmen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen keine Wirkung zeigen, „bewegen wir uns auf Zahlen zu, die schwierig werden“. Er rate „uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten“. Auch die SPD steht in den Umfragen unter Druck: Auf Bundesebene bleibt sie zwar weitgehend unverändert bei 24 bis 25 Prozent. In den Ländern verliert sie aber dramatisch: So liegen die Sozialdemokraten laut Infratest dimap in Baden-Württemberg nur noch bei 15 Prozent, in ­Sachsen-Anhalt rutschen sie knapp unter die 20-Prozent-Marke. In Rheinland-Pfalz würde die CDU mit Julia Klöckner die nächste Ministerpräsidentin stellen.

Die AfD würde bis zu 11 Prozent erhalten, wenn jetzt Bundestagswahl wäre

Auch die dortige CDU wird aber vom Bundestrend in Mitleidenschaft gezogen. Noch im Juli lag die Landes-CDU bei 42 Prozent in der Infrates-dimap-Umfrage, inzwischen sind es 37. Wohl auch deshalb reagierte Klöckner am schnellsten auf einen Vorstoß von Wolfgang Schäuble (CDU) in der Südddeutschen Zeitungvom Samstag. Der Bundesfinanzminister hatte dort eine europaweite Abgabe auf den Benzinpreis für „die Bewältigung der Flüchtlingsfrage“ angeregt. Klöckner konnte noch am Samstag nach Telefonaten mit Schäuble und Merkel verkünden, dass es „eine zusätzliche Benzinsteuer in Deutschland nicht geben“ wird. Auch der CDU-Spitzenkandidat in Baden-Württemberg, Guido Wolf, hatte sich gegen eine solche Steuererhöhung ausgesprochen.

Außer Schäuble warf sich nur Fraktionschef Volker Kauder für Merkel in die Bresche: „Eine Schließung der Grenzen hätte schwerwiegende Folgen“, sagte er. Auch wenn ein offener Aufstand in der Union vorerst ausbleibt, sind seit dem Wochenende die Fronten klar: Für Niederlagen bei den Landtagswahlen wird Merkel alleine verantwortlich gemacht werden. Ihre innerparteilichen Gegner haben sich frühzeitig von ihr abgesetzt.