Machtwechsel auf der Insel

Taiwan Mit großer Mehrheit stimmen die Taiwaner bei der Präsidentschaftswahl für Tsai Ing-wen von der Fortschrittspartei. Ihre Partei steht für einen chinakritischen Kurs

Anhänger der Demokratischen Fortschrittspartei mit dem Konterfei der neuen Präsidentin Foto: Chiang Ying/ap

Aus Taipeh Felix Lee

Einen Versuch startete Taiwans Präsident Ma Ying-jeou noch, um seiner darniederliegenden Partei zu ein paar Stimmen mehr zu verhelfen. Demonstrativ stellte er sich am Wahlsamstag hinter Chou Tzu-yu, einem jungen taiwanischen Popsternchen. Die 16-Jährige war von ihrem Manager dazu verdonnert worden, sich zu entschuldigen, weil sie im südkoreanischen Fernsehen demonstrativ die Fahne Taiwans in die Kamera hielt. Ihr Manager fürchtete, dies könne ihre Geschäfte in China beeinträchtigen.

Doch das ging offensichtlich auch Ma zu weit: „Tzuyu hat nichts falsch gemacht“, befand der scheidende Präsident, der nach zwei Legislaturperioden nicht mehr kandidieren darf. „Sie muss sich für gar nichts entschuldigen.“ Doch es nutzte nichts. Seine Partei erlitt bei den Wahlen am Samstag die heftigste Niederlage in ihrer Geschichte.

Tsai Ing-wen, die Vorsitzende der Fortschrittspartei (DPP), die aus der Unabhängigkeitsbewegung entstanden ist, gewann die Wahl am Samstag mit 56 Prozent der Stimmen. Für ihren Herausforderer Eric Chu von der bisher regierenden, chinafreundlichen Kuomintang (KMT) stimmten gerade einmal 31 Prozent. Er gestand seine Niederlage ein und erklärte noch am Abend seinen Rücktritt als Parteichef.

„Keine weitere Anbiederung an das Festland!“, skandierten die jubelnden Massen der DPP-Spitzenkandidatin Tsai Ing-wen, die ihren Sieg auf einer Bühne unmittelbar vor dem Präsidentenpalast genoss. „Heute beginnt eine neue Zeitrechnung“, rief sie ihren Anhängern zu.

„Keine weitere An­biederung an das chinesische Festland“

skandieren die jubelnden Massen

Die Wähler haben damit vor allem der Chinapolitik von Präsident Ma eine Abfuhr erteilt. Die chinesische Führung betrachtet Taiwan als eine abtrünnige Provinz und droht mit Militärschlägen, falls sich die de facto souverän regierte Insel offiziell für unabhängig erklären sollte. Ma und seine KMT halten ebenfalls am Ein-China-Grundsatz fest und haben sich aus Sicht vieler Taiwaner vor allem in den vergangenen Jahren allzu sehr an das kommunistische Regime in Peking angebiedert. Die DPP hingegen hat ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung. Tsai lehnt den Ein-China-Grundsatz weder ab, noch unterstützt sie ihn ausdrücklich.

Die Führung in Peking reagierte verstimmt auf den Wahlsieg von Tsai und ihrer DPP. Die neue „Führerin Taiwans“ müsse sich zu dem Grundsatz bekennen, dass es nur „ein China“ gebe und Taiwan ein Teil davon sei, forderte sie Taiwans künftige Präsidentin auf. China werde keinerlei „spalterische Aktivitäten für eine Unabhängigkeit Taiwans“ tolerieren, warnte ein Sprecher. „Die chinesische Regierung ist felsenfest entschlossen, die nationale Souveränität und territoriale Integrität zu schützen.“

Zudem forderte Peking Tsai auf, sich zu dem „Konsens von 1992“ zu bekennen. Mit dieser Formel hatten seinerzeit beide Seiten anerkannt, dass es nur „ein China“ gebe, unterschiedliche politische Vorstellungen aber akzeptiert würden. Seitdem wird jedoch darum gerungen, was genau darunter zu verstehen ist.