: Die Geschichte einer Beutekunst
Kunst „Heimatlose Volkskunst“ nennt Kenno Apatrida sein wucherndes Schaffen – das sich windige Kunsthändler angeeignet haben
von Helmut Höge
„Heimatlose Volkskunst“ – das ist das Stichwort, mit dem der in Berlin lebende peruanische Künstlers Kenno Apatrida sein Schaffen zusammenfasst. Was er in und aus seinem Atelier macht – mit Collagen, Plastiken, Siebdrucken, Zeichnungen, Tafelbildern und so weiter – ist eine Art Gesamtkunstwerk, mit dem er sich mit den Jahren allerdings dem Kunstmarkt angenähert hat. Bis er sogar mit drei vorgeblich kapitalkräftigen Galeristen in Kontakt kam, die ihm das Blaue vom Himmel versprachen – und ihn dann um über 200 Arbeiten erleichterten.
Kenno Apatrida (48) war im Sommer 1991 mit einem Touristenvisum nach Berlin gekommen. Nachdem er hier seine Aufenthaltsgenehmigung überzogen hatte und der Rückflug verfallen war, kam er nicht mehr weg. Er wollte aber zurück nach Peru. Bei der Ausländerbehörde lachten sie ihn aus: „Du bist der Erste, der nicht hierbleiben will. Da musst du zur Polizei gehen und dich deportieren lassen“, hieß es dort, erzählt Apatrida. Und dass sie ihm 100 Mark gaben, vier U-Bahn-Fahrscheine und ihm „viel Glück“ wünschten.
Der Künstler schlief im Park, manchmal auch bei Freunden, und erfuhr dann von besetzten Häusern in Ostberlin. Im ausgebrannten Teil eines solchen Hauses fand er eine Bleibe – und legte los. Die Straßen und Mülltonnen waren voll mit interessantem Material, das er verarbeitete: „Berge von Fundstücken, alles, was die Leute vom Sozialismus los sein wollten.“
Im besetzten Haus lebt eine Künstlergruppe. Mit ihrer existenziellen Lebensweise empfand er eine Verwandtschaft, sagt Apatrida: „Wir haben da in der Mitte der Kunst gelebt – nicht für irgendeinen Kunstmarkt etwas hergestellt. Es war auch alles durchdrungen von einem guten Humor, obwohl sie als europäische Undergroundkünstler auch ein bisschen arrogant mir gegenüber – als Südamerikaner, als unidentifizierbarem Eindringling – waren. Wir hatten Berge von allem, was wir brauchten zum Leben, Räume, Essen, Recyceltes: Kameras, Musikinstrumente, tonnenweise Farben, Klamotten – eben alles, es war fantastisch.“
Eine offene Werkstatt
Mitte der neunziger Jahre ermöglichte man ihm eine Ausstellung in einer kommunalen Galerie in Prenzlauer Berg. Er organisierte sich den Schlüssel für die Räume und zog in die Galerie. „Es war dann eine ‚offene Werkstatt‘. Irgendwann hatte ich so viele Arbeiten, dass ich die neuen Galeristen in der Auguststraße eingeladen habe, sich meinen ‚Altar der Emigranten‘ anzusehen. Eine New Yorker Galerie hat daraufhin 20 Bilder von mir mit zur Messe nach Miami genommen. Ich merkte bald: Meine Werke arbeiten für mich, ich habe keine Papiere, keine Legalität, aber meine Bilder können überallhin reisen und gezeigt werden. Den ausländischen Galeristen war meine Illegalität egal – auch wenn sie was verkauften, bei den deutschen war das anders.“
Der „heimatlose Volkskünstler“ zog dann in eine leerstehende Brauerei, wo der Verwalter ihm einen 300 Meter langen Keller zum Arbeiten überließ. Aus diesem Riesenraum machte er 2007 eine Installation. „Das ist mir dann noch mehrmals passiert, dass Hausbesitzer mir verfallene, unbenutzte Räume zur Verfügung stellten. Es war ein bisschen paradox: Eine Person, die jeden Moment deportiert werden konnte, machte große Installationen – mit Katalog auch noch.“
2009 hatte er eine Ausstellung in der Galerie Wilde, die seine Arbeiten auf mehreren Messen zeigten. Das Kunstmagazin art schrieb: „Ein fast unbekannter Künstler ist mit einem Werk von mystischer Aura zu entdecken. 17 Jahre lang hat der Südamerikaner im Berliner Untergrund aus Zivilisationsmüll ein Werk von wuchernder Lebendigkeit und tiefgründiger Symbolik geschaffen.“
Wenigstens eine Zwischenheimat für die weiter wuchernde „heimatlose Volkskunst“ von Kenno Apatrida gibt es im Januar im Kulturpalast Wedding International. Dabei wird der Künstler seine Arbeits- und Lebenssituation mittels einer raumgreifenden Materialinstallation durchleuchten. Begleitend dazu gibt es bereits in der Aufbauphase Lesungen, Barbetrieb und lateinamerikanische Volksküche.
Ausstellungseröffnung von „Kenno Apatrida und die Gentrifizierung des Sisyphos“ ist dann am Freitag, 29. Januar, um 20 Uhr. Zu sehen ist die multimediale Schau mit Collagen, Malerei und anderem mehr bis 19. Februar, freitags ab 21 Uhr mit Freitagsbar, sowie Samstag und Sonntag von 16 bis 20 Uhr.
Kulturpalast Wedding International, Freienwalder Straße 20, www.kulturpalastwedding.com
Über den kanadischen Galeristen Wilde kam der Künstler mit einem Kunsthändler in Kontakt, einem Schweden, der Partner des Kanadiers war und in London dann als „Art-Dealer“ und Berater von Sammlern tätig wurde. In Berlin hatte er zuvor ein Jahr im Gefängnis gesessen, weil er angeblich Bilder von Felix Nußbaum verkauft hatte, die gefälscht waren.
Als er bei Kenno Apatrida auftauchte, hatte er einen neuen Partner dabei: einen Dänen mit einer Galerie im Künstlerdorf Silkeborg, angeblich eine der ältesten und renommiertesten in Dänemark. Die beiden wollten Apatrida sogleich sämtliche Arbeiten im Brauereikeller abkaufen. „Sie nannten großkotzig eine Summe. 30.000. Das ist zu wenig, sagte ich ihnen“, erinnert sich der Künstler, und dass darauf der schwedische Galerist erwiderte, dass das doch erst mal nur die Hälfte sei, und die andere Hälfte das, was sie in seine Karriere investieren wollten: „Wir schicken dich nach Peru und zurück, dann bist du hier legal. Wir zahlen dein Atelier, Materialkosten, Krankenversicherung; wir drucken einen Katalog, mit einem Text von einem bekannten Kunstkritiker. Wir werden dich bedeutenden Sammlern vorstellen und deine Werke in bekannten Sammlungen positionieren.“ Und der Däne sprach davon, in zwei dänischen Museen Ausstellungen für ihn zu organisieren. Um eine konstruktive und langfristige Beziehung zu ihm aufzubauen, „die uns allen viel Geld einbringt“.
Daraufhin gaben sie ihm eine Anzahlung, jedoch nicht auf einmal, sondern in mehreren Portionen und meistens durch eine dritte Person. Außerdem kauften sie ihm ein Flugticket nach Peru. Der Schwede flog mit und übergab dann dem deutschen Konsulat in Lima drei schriftliche Erklärungen – von ihm, vom dänischen Galeristen und vom Freien Museum Berlin. „Darin stand, etwa gleichlautend, dass sie alles für mich tun und mir 1.000 Euro plus Atelierkosten monatlich zahlen würden. Das Freie Museum verpflichtete sich sogar, mir 1.500 Euro monatlich zu zahlen.“
Bevor Kenno Apatrida abflog, schafften „seine“ Galeristen rund 200 Bilder von ihm in eine Art Storage. Von dieser Firma bekam er eine Quittung darüber, dass sie „verschiedene Dinge“ aus seiner Wohnung abgeholt hätten. Er unterschrieb sie zwar als „Auftraggeber“, kam aber bald trotzdem nicht mehr an seine Arbeiten ran, weil die Lagergebühr im Art Storage vom Schweden bezahlt wurde.
Bilder bleiben in Lima
„Ich war 22 Jahre von Peru weg gewesen“, erzählt Apatrida, „aber als ich in Lima war, habe ich eine kleine Ausstellung gemacht. Ich hätte einiges davon verkaufen können, aber der Schwede hat mir per Skype gesagt, er kaufe fast die komplette Ausstellung, um sie in London zu zeigen. Dann hat er den teuersten Kunsttransporter in Lima um einen Kostenvoranschlag für den Transport meiner Arbeiten nach London gebeten. Aber als ich nach Berlin zurückkam, waren meine Bilder noch immer in Lima – sie sind es bis heute. Auch ein Atelier, das sie mir versprochen hatten, gab es nicht. Erst nach Monaten bekam ich eines – im Freien Museum Berlin. Danach organisierte ich mir eine Ausstellung im Kreuzberger Großbeeren-Keller.“
Obwohl seine Galeristen nichts taten, was sie versprochen hatten, arbeitete der Künstler einfach weiter. Er verlangte jedoch von ihnen seine Bilder aus dem Depot zurück, weil sie sich nicht an die Vereinbarungen hielten. Sein Visum war bald nur noch einen Monat gültig und er sollte unbedingt sein Atelier im Freien Museum räumen, weil der Schwede keine Miete dafür zahlte. Da tauchten die beiden Galeristen erneut bei ihm in Berlin auf. Sie entschuldigten sich für alle ihre Versäumnisse und versprachen, dass sie demnächst alles wie vereinbart arrangieren würden.
Das Kunstmagazin „Art“
Der Künstler war verzweifelt, er schwankte, er konnte nicht glauben, dass sie ihn anlügen würden. Also vertraute er ihnen noch einmal und gab ihnen seine zuletzt gemalten etwa 20 Bilder – Öl auf Leinwand – mit: Sie sollten in Dänemark ausgestellt werden. Die beiden Galeristen gaben ihm etwas Geld, damit er eine Zahnarztrechnung zahlen konnte.
Im Sommer 2014 kam tatsächlich eine Ausstellung – mit Katalog – in Silkeborg zustande und der Künstler bekam noch einmal Geld, um zur Eröffnung anzureisen. Eine Enttäuschung, fand Kenno Apatrida: „Die Ausstellung war eine Schande, einige Bilder waren falsch herum aufgehängt, sie waren voller Staub, niemand kam. Und zurückbekommen habe ich sie auch nicht – bis heute.“
Das alles war eine Katastrophe für ihn. Alle Bilder weg, kein Geld, kein Atelier, kein Visum mehr. Zum Glück heiratete ihn seine Freundin und er fand einen Hauseigentümer, der ihm eine alte leerstehende Werkstatt zur Verfügung stellte. Dort stabilisierte er sich langsam wieder, indem er erneut loslegte.
Über 20 Jahre lebte er illegal und jeder Kontakt mit einer Behörde hätte das abrupte Ende seines Hierseins bedeutet. Eine solche Existenz mag eine Intensität des Lebens bewirken, die seinem riesigen Werk, das in den Jahren entstand, zugute kam – und weiterhin kommt: „Ich glaube, die Erfahrung der Emigration ist eine Initiation, notwendig, um die human condition zu verstehen … also wenn du in ein Land kommst, ohne Geld, ohne Verwandtschaft oder Freundschaften und bei null anfängst.“
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