: „Keine Systemkritik mehr“
LESUNG Sascha Verlan stellt sein aktualisiertes Standardwerk über „Hip-Hop in Deutschland“ vor
46,freier Autor und Radiojournalist aus Bonn. Er macht Workshops für Jugendliche im kreativen Schreiben. Von seinem Buch „35 Jahre HipHop in Deutschland“ erschien im Dezember 2015 die dritte, aktualisierte Auflage.(Hannibal Verlag).
taz: Herr Verlan, wie politisch ist der deutsche Hip-Hop?
Sascha Verlan: Der medial präsente Teil der Rapszene ist total unpolitisch geworden. Da werden Klischees reproduziert und der Rapper, der das am besten kann, ist am erfolgreichsten. Der Rapper Haftbefehl zum Beispiel hat am Anfang, etwa mit dem Song „Azzlacks sterben jung“ sehr politische Fragen gestellt, also warum Menschen mit Migrationshintergrund früher sterben als Bio-Deutsche. Seit er erfolgreich ist, verschwand das. Die Hip-Hop-Szene hingegen ist viel politischer, als sie es jemals war.
Wie unterscheiden Sie Hip-Hop und Rap?
Der Begriff der Hip-Hop-Kultur geht zurück auf die Entstehung in New York und meint eine Szene aus Rap, Graffiti, Breakdance, Dj-ing und „Human Beatbox“, also der Imitation von rhythmischen Klängen mit der menschlichen Stimme. Rap ist nur ein Teil dieser Kultur, das ist ein bisschen in Vergessenheit geraten.
Ist von den Anfängen des Hip-Hop noch viel übrig, als Schwarze aus den Ghettos in den USA damit eine Stimme bekamen?
Dieses Empowerment, das da zum ersten Mal so vehement an die Öffentlichkeit getreten ist, ist in vielem im Rap noch da. Wir haben mit Juicy Gay den ersten offen schwulen Rapper in Deutschland oder Sookee, die einen Queer-Feminismus vertritt. Ein Buschido oder Haftbefehl haben aber keine Systemkritik mehr und sind in Deutschland keine Gefahr mehr.
Bei vielen Rappern finden sich schwulenfeindliche und frauenverachtende Texte.
Es ist immer die Frage, wie ernst diese Äußerungen gemeint sind und was wiederum bei den RezipientInnen ankommt. Der Sexismus ist allerdings sicherlich einer der Gründe für den geringen Anteil an Frauen, die sich dem Hip-Hop zugehörig fühlen.
Wie wichtig ist in Deutschland der Hip-Hop außerhalb der Metropolen?
Das Interessante ist, dass sich der Hip-Hop in Deutschland eigentlich in den Provinzen entwickelt hat. Die Zentren sind Heidelberg, Gießen, Lüdenscheid, Euskirchen, aber auch Bremen und Bremerhaven.
Bremen und Bremerhaven?!
Ja, etwa mit No Remorze, DJ Stylewars oder auch FAB. Dass Hip-Hop durch Großstadtprobleme geprägt ist, ist ein Klischee, das wir bis heute herumtragen.
Interview: jpb
18 Uhr, Uni Bremen, Café Kultur, Souterrain B0511
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen