: Entspannung und Arbeit am Begriff
Identitäten Kritik und Yoga – passt das zusammen?
In einer Straße im Berliner Stadtteil Schöneberg, die nach dem Mauerfall ins Windschattige gedriftet war, inzwischen durch die Studie „Der lange Sommer der Theorie“ von Philipp Felsch aber wieder ins Bewusstsein geraten ist, findet derzeit ein ganz eigener Kulturkonflikt statt. Im vierten Stock eines dort im Hinterhof gelegenen Hauses liegen die Büroräume des Merve-Verlags, einen Stockwerk darüber, im fünften, aber befindet sich ein Yoga-Studio. Meist gibt es keine Berührungspunkte. Gelegentlich aber kommt es vor, dass man, unterwegs zum Yogakurs, im gemeinsamen Fahrstuhl auf Bekannte trifft, die ihrerseits zu einem Vortrag im theorieaffinen Verlag streben. Und dann handelt man sich gern skeptische Blicke ein. Diese Skepsis findet sich nun in der FAS sorgfältig durchbuchstabiert. Zentraler Punkt: Körperliches und geistiges Entspanntsein verträgt sich nicht mit der unendlichen Arbeit am Begriff, die der Kern des kritischen Geschäfts ist. Yoga und Kritik, das ist in der Tat ein weites Feld, über das man angesichts von Yogaboom und Kritikrenaissance einmal nachdenken kann. In der FAS wird dabei eine Gefahr eindringlich benannt: Wer immer nur entspannt sein will, kann wirklich der Illusion verfallen, Erlösung sei tatsächlich im Hier und Jetzt machbar. Nur, wollen das die Menschen im fünften Stock wirklich? Jetzt nicht die typisierten Vorurteilsträger, sondern die konkreten Menschen. Ist man immer Yogi, wenn man mehrmals die Woche Yoga macht? Und umgekehrt: Muss man immer und ständig, etwa auch am Büfett einer Weihnachtsfeier, das Hart-am-Begriff-Arbeiten heraushängen lassen, wenn man Kritik treiben will? Eine pragmatischere Sicht muss keine theorieferne Gelassenheit ausdrücken, sondern kann auch die Praxis theoriegeschichtlicher Bewegungen sein. Gerade Merve steht für ein Aufbrechen hart gemachter Identitäten. Vielleicht ist es kein Zufall, sondern eine schöne List der Geschichte, dass ausgerechnet über diesem Verlag ein Yogastudio liegt. drk
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