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Wieso Integrationsbemühungen rausgeschmissenes geld sind und freunde immer die sind, die am nächsten dran sindKnoblauch und Stickstoff

Foto: privat

Vogelfluglinie

von Rebecca Clare Sanger

Es ist mal wieder soweit. Es riecht nicht nach selbstgebackenen Plätzchen, weil wir Konfekt gemacht haben und das riecht nicht, schmeckt aber trotzdem gut. Der Stollen ist typisch deutsch, sieht aber in vier Scheiben geschnitten mickrig aus auf dem weißen Teller – also lieber den mit Granatapfelmuster – und ordentlich mit Brunkager und Konfekt. Weihnachtstischdecke kann ich nicht finden. Macht nix. Übertreiben muss man es ja auch nicht. Sven Ole kommt. Wir unterzeichnen den Pachtvertrag.

Ich kauere in einer Ecke, denn ich habe Knoblauch gegessen, und lasse meinen Mann reden; und auch Sven Ole, den man ganz bis ins Gästezimmer hinein hören kann, wo ich meine Gäste hinein gesperrt habe, damit die mich nicht vor Sven Ole blamieren.

Nach dem harmlosen Stickstoff auf den Ackern – der rote Block hat da was in den falschen Hals gekriegt – kommen wir auf den türkischen Ehemann der türkischen Mitarbeiterin bei der ehemaligen Arbeit seiner Frau zu sprechen, der – von der Hochebene gekommen – nach 16 Jahren noch immer kein Dänisch sprechen kann. Ich kneife meine Lippen fest zusammen. Damit Sven Ole bloß keine Parallelen zieht. Das mit der Sprache habe ich im Griff. Aber der Knoblauch!

Sven Ole findet, Integrationsbemühungen sind rausgeschmissenes Geld, obgleich er nichts als Respekt für das zwölfjährige syrische Mädchen hat, das er neulich im Fernsehen gesehen hat, und welches nach drei Monaten schon Donald Duck auf Dänisch lesen konnte. Die Milliarden hätten in Straßenbau und Altersheime gesteckt werden können. Sven Ole zahlt ebenso gerne Steuern, wie er die Steuern seiner Mitbürger ausgäbe. Vor allem die Steuern auf die Ernteerträge, die ihm die Stickstoffrestriktion verleidet hat. Zu viel Steuern hätte er auf die sogar gern gezahlt. Hauptsache das Geld bleibt in Zirkulation und vermodert nicht ungeerntet im Herzen seiner Acker. Von denen er uns einen zum wirklich guten Preis verpachtet. Und seine Frau passt gerne gratis auf die Nachbarskinder berufstätiger Eltern auf und ist ehrenamtlich im Vereinshaus tätig.

Sven Ole ist ein Pfundskerl. Ich glaube, ich weiß jetzt auch wieso. Sven Ole sitzt nämlich nicht mit nichts als guten Gedanken bei Abschlussveranstaltungen von Integrationskursen, wo er somalischen Mitschülern zuzischen muss, sie sollen einfach den stetig missglückenden Viberanruf verschieben. Ich konnte mich doch nicht auf die Redner konzentrieren!

Sven Ole kommen nie Tränen der Rührung bei dänischen Weihnachtsliedern, vor allem nicht bei denen, die auf solchen Abschlussveranstaltungen einzig und allein von den Lehrern gesungen werden, weil die 200 Schüler sie nicht kennen. Sven Ole fragt sich nicht, wie das alles je gelingen soll – denn das soll es doch auch gar nicht, das kann es doch auch gar nicht. Sven Oles Feinde sind nämlich praktischerweise diejenigen, die – bisher – weit weg waren und nach Knoblauch rochen.

Hingegen sind Sven Oles Freunde die, die ihm am nächsten sind. Er kennt und grüßt alle auf der Insel – auch die, über die ich nur zu lästern weiß. Sven Oles Frau heißt Merete und kann sehr gut von ihrem Mann geschossenes Wild zubereiten. Sie würde nicht am ersten Weihnachtstag genervt mit schreienden Kindern im Kofferraum vorzeitig heimfahren.

Gut, dass ich die Weihnachtsdecke in der Schublade gelassen habe. Wem soll ich was vormachen. Solange ich meine Nächsten nicht lieben kann, sollte ich meinen Mund nicht zu weit aufmachen.

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