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Fasziniert vom Krieg

ANTI-IMPerialismus Das Cartoon-Museum Basel zeigt eine Werkschau des umstrittenen US-Comic-Zeichners Joe Sacco

Zerschossene Häuser von Joe Sacco Foto: Cartoon-Museum Basel

VON Ralph Trommer

Ursprünglich wollte der 1960 in Malta geborene und in den USA lebende Joe Sacco Journalist werden. 1981, nach dem Studium an der Universität von Oregon in Portland, gab es kaum Arbeitsmöglichkeiten. Also beschloss er, Comics zu zeichnen – eine Leidenschaft, der er bereits als Kind nachging. Früh verband Sacco Zeichnungen mit dem Journalismus und schuf grell-satirische Comics über sein Leben. Sacco stand damit in der Nachfolgegeneration von Robert Crumb und Art Spiegelman, die ihre Alltagserfahrungen in autobiografischen Comics überspitzt darstellten.

Das Cartoonmuseum Basel widmet nun dem durch seine Reportage-Comics über Krisengebiete in Nahost bekannt gewordenen Zeichner eine Retrospektive. Kuratorin Anette Gehrig hat 150 originale Comicseiten für die Ausstellung ausgewählt. Anhand von Auszügen aus Saccos wichtigsten Werken und pointierten Texttafeln wird seine künstlerische Entwicklung sichtbar. Mit seinen Arbeiten erschloss er neue dokumentarische Erzählmöglichkeiten für den Comic und nahm dabei Bezug auf heikle Konflikte.

Eine Faszination für den Krieg ist schon in frühen Arbeiten erkennbar. 1990 setzte Sacco etwa die Erinnerungen seiner Mutter in Malta während des Zweiten Weltkriegs – zu jener Zeit erlebte sie als Kind die Angriffe durch Mussolinis Bomberstaffeln – , im Format des Comics um. Die Eindringlichkeit der subjektiven Perspektive durch eine Augenzeugin wie auch das unkonventionelle Seitenlayout nehmen hier schon Thema und Erzählweise späterer Arbeiten vorweg. „War Junkie!“, ein satirischer Kurzcomic von 1991, beschreibt wiederum Saccos Blick auf den zweiten Golfkrieg vom Wohnzimmer aus.

Dicke Lippe und Nickelbrille

Einerseits wird Saccos gezeichnetes Alter Ego (das hier schon in bis heute gültiger Form als gedrungene Gestalt mit dicken Lippen und Nickelbrille erscheint) durch die Gewalt des Krieges abgestoßen, andererseits ist es fasziniert, kann die Augen nicht vom Fernseher lösen. Sacco charakterisiert sich selbstironisch als Medienjunkie, der gierig Informationen zum Weltgeschehen aufsaugen muss. Mit der episodisch angelegten Reportage „Palästina“ sowie den Folgebüchern „Bosnien“, „Sarajevo“ und „Gaza“ kreierte Sacco wesentlich die Form der Comicreportage, wie sie in den letzten zwei Dekaden auch von Künstlern wie Emmanuel Guibert (“Der Photograph“) oder Guy Delisle (unter anderem „Shenzen“) erschaffen und auf je persönliche Art interpretiert wurde. Mit „Palästina“ entwickelte Joe Sacco seinen Reportagestil, den er später noch verfeinerte. 1991 reiste er nach Israel und in die palästinensischen Gebiete im Gaza­strei­fen und im Westjordanland. Seine Perspektive auf den Nahostkonflikt während der ersten Intifada setzte er dann zwischen 1993 und 1996 in Comics um. Saccos den Konfliktursachen nachspürende Arbeitsweise wird in der Ausstellung dokumentiert: Er spürt Zeitzeugen auf, um aus erster Hand Informationen zu konkreten Ereignissen zu bekommen. Sacco bedient sich so der Oral History, die keine objektive Wahrheit sucht, sondern subjektive Erfahrungen dokumentiert und kritisch einordnet. Ist das differenziert genug? Seine israelkritische Haltung ist zumindest umstritten.

Wie Sacco recherchiert, ist an Zeichnungen für „Gaza“ (entstanden 2008) aus seinem Notizbuch ablesbar: ein Ereignis – Massaker und Drangsalierungen in palästinensischen Flüchtlingslagern 1956 – wird anhand von Skizzen nach verschiedenen Zeugenaussagen räumlich nachgestellt.

Angeblich einseitig

Dabei werden auch Widersprüche zwischen den unterschiedlichen, 50 Jahre zurückliegenden Erinnerungen festgestellt. Sacco wurde oft vorgeworfen, dass er sich in seinen Nahost-Comics zu sehr auf die palästinensische Seite schlägt. Er bestreitet das nicht, begründet das mit einer angeblich einseitigen, pro-israelischen Berichterstattung in den USA.

Die Ausstellung stellt auch heraus, dass Sacco an einer Form der gezeichneten Reportage anknüpfte, wie sie im 19. Jahrhundert existierte, bevor sich die Fotografie durchsetzte. Mitte des 20. Jahrhunderts standen Künstler wie Frans Masereel und Paul Hogarth und ihre Bilderzyklen und Reportagebücher in dieser Tradition. Saccos Zeichenstil – anfangs noch cartoonartig à la MAD, dann zunehmend realistischer (in der neuesten Veröffentlichung „Bumf“ kehrt er wieder zur bissigen Satire zurück) – entlehnte er Comicrevoluzzer Robert Crumb, der in den sechziger Jahren maßgeblich den Underground-Comic prägte. Wie dieser arbeitet Sacco ausschließlich in Schwarzweiß, zeichnet ganz klassisch mit Bleistift und Tusche auf Papier. Ein eigenständiges Merkmal sind die dynamischen, oft mit zahllosen Textkästen und Sprechblasen versetzten Seitenlayouts.

Kunstwerke für sich sind vor allem die wiederkehrenden Massenszenen, in denen Sacco, etwa wie im Panoramabild „Der Erste Weltkrieg – Die Schlacht an der Somme“ die Entwicklung einer berüchtigten Schlacht von 1916 dokumentiert, in der das Töten industriell organisiert war. Der staunende Betrachter fragt sich, wie Sacco als Zeichner hier den Überblick behalten konnte. Die Basler Ausstellung gibt einen erhellenden Einblick in die Vielseitigkeit und die Arbeitsweise eines bedeutenden, wenn auch ideologisch streitbaren Comickünstlers.

„Joe Sacco. Comic Journalist“, bis 24. April 2016, Cartoon Museum Basel. Katalog „Zeichner als Reporter“, 26 Euro.

Saccos Werk erscheint auf Deutsch bei Edition Moderne, Zürich

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