Berliner Szenen: Wartenachbarschaften
Gute Vorsätze
Brrrrrr! Vor dem Eingang des White Trash hat sich eine amtliche Schlange gebildet. Sonntagabend, etwa 200 Leute stehen bei gefühlten 40 Grad minus brav an. Es geht nur langsam voran. Einige hüpfen, um sich zu wärmen. Andere giggeln hysterisch. Ich unterhalte mich mit meinem Wartenachbarn, wir beide stehen starr in unsere Mäntel gehüllt. „Ist wieder die Zeit, wo man besser‘nen Flachmann inner Tasche hat“, sage ich zu ihm. „Jou“, sagt er, „aber ich hab gehört, Alkohol soll auch nur gefühlt wärmen.“ – „Reicht doch, gefühlt“, sage ich.
Im White Trash soll Pete Doherty ein Solokonzert geben. Genau, der Typ von den Libertines. Der ist mit den White-Trash-Machern wohl irgendwie befreundet und spielt ab und an Clubgigs dort. Das Problem bei Doherty, der eine genauso lange Drogen- wie Musikkarierre hinter sich hat, ist nur, dass sie oft mit langem Warten verbunden sind. In der Schlange geht es ein wenig voran. Noch fünf Meter.
Erste Belohnung drinnen: ein gusseiserner Ofen, an dem man sich wärmen kann. Mittlerweile kennt man sich bereits aus der Schlange, nun sitzt man am Ofen wieder zusammen. Jeder bietet seinen begehrten Platz nah der Wärmequelle den Nachkommenden an. Für Mitternacht ist Doherty angekündigt. Ob’s dabei bleibt? Bei einem Auftritt vor ein paar Jahren war er für zehn angekündigt und ist gegen halb drei gekommen, erzähle ich meiner neuen Wartenachbarin. „Aber vielleicht hat er ja gute Vorsätze fürs neue Jahr“, sage ich. „Genau, das ist auch so ‘n Typ dafür“, sagt sie.
Ab zwölf drängeln sich alle vor der Bühne. Eine Gruppe junger Mädels aus Wien, die für das Konzert ihren Flug verschoben haben. Ich bin gerade dösig vom Warten, da weckt mich ihr Gekreische – es ist kurz vor eins, Doherty betritt die Bühne. Eineinhalb Stunden später ist auch der letzte Zeh an den kalten Füßen aufgetaut. Jens Uthoff
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