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Sportlicher Widerstand

Kino II Klaus Härö versetzt seine Zuschauer mit „Die Kinder des Fechters“ ins sowjetisch besetzte Estland der 1950er Jahre, wo Stalins Schergen lauern

Klaus Härö ist Finnlands Oscar-Regisseur. „Die Kinder des Fechters“ ist bereits der vierte Film von ihm, den sein Heimatland der Academy zur Auswahl präsentiert. Bisher gewann er keine Nominierung. Aber wer weiß, vielleicht wird jetzt, mit der „inspirierenden“ Geschichte eines Fechtlehrers im Estland der 50er Jahre, alles anders.

Nun mag es kaum ein Land und eine Epoche geben, die dem Hollywood-Hügel-Bewohner fremder ist als Estland in den 50er Jahren. Wo „think big!“ eine Lebensparole ist, gelten kleine Länder als obskur und erregen Misstrauen. Wie zum Ausgleich dafür folgt Härö in der Art, wie er seine Geschichte erzählt, bewährten Mustern des Hollywoodkinos.

Man schreibt das Jahr 1952. Da kommt ein junger Mann in ein fremdes Städtchen, um ein neues Leben anzufangen. Der Schuldirektor, der ihn als Sportlehrer anstellt, findet es verdächtig, dass jemand das schöne Leningrad freiwillig verlässt, um nach Haapsalu, estnische Sowjetrepublik, zu ziehen.

Der Mann, der sich als Endel vorstellt, behauptet, ruhige Kleinstädte seien schon immer sein Ding gewesen. Sein stoischer Blick dabei verrät, dass das eine Schutzbehauptung ist und wir es hier mit einem Mann mit Vergangenheit zu tun haben. Als er in einer stillen Stunde in der Turnhalle ein Florett auspackt, sieht sich dieser Verdacht bestätigt.

Zwar tauscht Endel mit einer Lehrerkollegin bald bedeutungsvolle Blicke aus, aber zunächst ist er einsam in der neuen Umgebung, in der das kulturelle Angebot zu wünschen übrig lässt. Darunter leiden auch seine Schüler. Eines Tages erwischt ihn die kecke Marta bei seinen heimlichen Fechtübungen und zeigt Interesse an der seltsamen Sportart. Endel reagiert erst abwehrend, hängt dann aber einen Aufruf zur Gründung eines Fechtclubs aus. Der Zulauf ist überwältigend.

Parallele Handlungsstränge

So vorhersehbar wie effektvoll schneidet Härö von da an die zwei Handlungsstränge parallel: Einerseits sind da die Schüler, die beim Fechten Hindernisse überwinden müssen, aber auch Etappenerfolge feiern. Andererseits ist da Endel und seine Vergangenheit, die Stück um Stück enthüllt wird, während Stalins Schergen ihm immer näher auf die Pelle rücken.

Der Showdown findet in Leningrad statt, wohin Endel vier seiner Schüler zum Fechtturnier begleitet. Die kleine blonde Marta tritt im alles entscheidenden Kampf gegen einen hünenhaften Russen an, der aus einer Moskauer Schule kommt und den Nachnamen Romanow trägt.

Was harmlos klingt, hat es an Symbolkraft ganz schön in sich. Spätestens beim Duell kleine Marta gegen großen Romanow fällt ins Auge, dass der Film neben seinen „Schüler kriegen Selbstbewusstsein durch Sport“- und „Mann wird von Stalin verfolgt“-Plots noch von etwas anderem handelt: Vom kleinen Estland und seinem schweren Schicksal nach der Besetzung durch die Sowjetmacht. Diese, seine eigentliche Handlung macht „Die Kinder des Fechters“ über seine konventionelle Machart hinaus interessant.

Besonders, da Härö diesen Aspekt eher zurückhaltend und wie mit Respekt für die Angst der Zeitgenossen inszeniert. Nichts wird wirklich ausgesprochen; ein Großvater wird nachts vom KGB abgeholt; deportierte Väter und Mütter werden erwähnt; die Denunzianten sprechen alle russisch. Aber dem Fechten als betont unproletarischem Sport kommt in diesem Kontext eine trotzige, gar widerständige Bedeutung zu. Und das gilt besonders auch für das, was die kleine Marta gegen den langen Romanow ausrichtet.

Barbara Schweizerhof

„Die Kinder des Fechters“. Regie: Klaus Härö. Mit Märt Avandi, Ursula Ratasepp u. a. Deutschland/Estland 2015, 94 Min.

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