: Im Anwohnerpark
MANJA PRÄKELS
Teil 16: Wunder braucht man hin und wieder
Ungewöhnlicher Trubel herrschte im zum Friedhof führenden Teil der Straße, hinter der Kaufhalle, dort, wo die Maschinen der Baustellen vorübergehend innehielten, der krumme Komponist und Django, der beste Gitarrero aller Zeiten, lebten, wo blaulichtund Bioladen Welt an Welt stießen. Die fürchterliche Explosion der Nacht hatte niemanden verletzt, die Substanz des Hauses war intakt geblieben. Der am stärksten betroffene Mieter weilte gerade hoch im Norden, wo er als Journalist eine Forschungsexpedition begleitete. Hüfthoch im Schnee stehend hatte er vom Verlust seines Wohnzimmers erfahren und schließlich gelacht. Alle Leute o. k.? Hütte steht noch? Bin ganz gut versichert. Vielleicht war er später im Zelt zusammengebrochen. Oder feierte mit den Kollegen, weit weg gewesen zu sein. Wer wusste das schon.
Hildegard, die Wirtin des blaulicht, hatte zu den Ersten gehört, die Polizei und Feuerwehr vor den betroffenen Häusern begrüßte. Merkwürdigerweise waren bei ihr nur ein paar Gläser zu Bruch gegangen. Die Bewohner des betroffenen Hinterhofs aber rannten in ihren Nachthemden aus den Fluren hinaus in Freie. Sanitäter verteilten warmen Pfefferminztee und Decken. Nachbarn luden die Evakuierten in ihre Wohnzimmer ein. Und als die Feuerwehrleute in ihren martialischen Schutzkleidern aus dem Rauch heraus auf die Straße traten, war auch ihnen die Erleichterung anzusehen. Keine Verletzten. Selbst der Sachschaden hielt sich in Grenzen. Ein Wunder. Oder Stümperei. Schnell machte das Gerücht die Runde: Es müsse was mit den Gasleitungen zu tun haben. Die Kripo sichere die Spuren. „Is ja wie bei ,Tatort‚.„ Hildegards letzten Stammgäste waren sicherheitshalber in der Nähe geblieben. Man konnte ja nie wissen.
In dem Moment, als die Erschütterung die Gläser in den Anrichten zum Klirren brachte, hatten viele Anwohner zunächst um die Menschen in der Turnhalle gefürchtet. Die täglichen Meldungen von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte waren das Erste, woran sie im Schock dachten. Dann war schnell klar geworden, dass der Rauch aus einem Hof in der Nähe des Supermarkts emporstieg. In der Turnhalle am anderen Ende der Straße brannte Licht. Einige der Kinder, Frauen und Männer aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und dem Kosovo hatte der Knall zum Schreien gebracht.
Annes Bioladen blieb, genauso wie das blaulicht,für einen Tag geschlossen. Ein Statiker sollte den Schaden begutachten. Sie lief direkt in die Notunterkunft. Dort war inzwischen wieder Ruhe eingekehrt, die meisten Menschen lagen erschöpft von der schlaflosen Nacht in den Feldbetten, dösten oder starrten, auf gute Nachrichten hoffend, in ihre Handys.
„Anne, oh Gott, wie geht es dir? Ist im Laden alles o. k.?“
„Ja. Abgesehen vom Chaos. Die Explosion hat alles umgeschmissen …“
Anne hatte keine Lust zu reden oder nachzudenken. Darum war sie schließlich nicht in die leere Wohnung nach Hause, sondern in die NUK gekommen.
„Und war das jetzt ein Anschlag oder so?“
„Quatsch. Lass uns mal über Silvester nachdenken.“
„Silvester?“
„Na wegen der Ballerei. Nach allem, was hier heute Nacht los war …“
Anne übersah die Verblüffung im Gesicht ihrer Initiativen-Kollegin. Sie war selbst ganz überrascht von der Idee.
„Frau Anne, haben sie kurz Zeit für mich?“
Der junge Afghane war ihr gleich beim ersten Mal aufgefallen. Anne beschloss, ihm einen Job anzubieten, sobald sie wieder in den Laden könnte. Nura war bis Ende Januar fort. Sie brauchte Hilfe. Dringend.
Django und Lale standen händchenhaltend am Straßenrand und bestaunten das Geschehen. Die Spurensicherung war vorüber. Männer mit ernsten Mienen entfernten die Absperrbänder. Hildegard fegte Staub und Asche von den Tischen und Bänken vor ihrer Kneipe. Fritze unterstützte sie, indem er ihr, auf seinen Stock gestützt, Gesellschaft leistete und wie so oft, wenn die Lage es erforderte, fröhliche Anekdoten zum Besten gab. Aus allen Himmelsrichtungen stürmten Schaulustige in die kleine Straße, verlangsamten ihre Schritte, sobald sie sich der Kaufhalle näherten, bogen schließlich schlendernd um die Ecke, als führte sie ihr Weg zufällig an dem Ort vorbei, von dem man munkelte, ein Anschlag sei verübt worden.
„Gegen wen denn? Es ist doch ein Wohnhaus!“
„Ja, aber vorn ist dieser Biomarkt drin, weißt schon, und dann diese eigenartige Kneipe, wo die Ossis immer rumhängen.“
Django drückte Lales Hand so fest wie nie zuvor. Er betrachtete seine Schuhspitzen und wünschte, sich besser erinnern zu können. Dieses eine Mal. Der schreckliche Verdacht, der ihn schon in der Nacht beschlichen hatte, angesichts der armen Nachbarn von gegenüber, die er im flackernden Lichtschein des Rettungswagens hatte frieren sehen, schnürte ihm die Kehle zu.
„Django? Alles o. k.?“
„Klar, Süße. Komm, wir kaufen dir ein Bäumchen.“
„Echt jetzt? Einen richtigen Weihnachtsbaum?“
Manja Präkels,Jahrgang 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band Der Singende Tresen. Soeben erschien beim Verbrecher Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.
Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com.
Er spürte Lales Arme um seinem Hals, ihre weichen, warmen Brüste. Sonst nichts.
In der Not hilft stets die Tagesordnung. Am nächsten Abend öffnete Hildegard das blaulicht, als sei nichts geschehen. In trauter Runde saßen sie beisammen. Sprottenpeter erzählte Witze, Heiner Müller lachte, machte sich Notizen, der Psychopath stierte vor sich hin und Heiko trank sein Bier. Nur mit Lolle stimmte etwas nicht. Er redete. Hildegard beschlich eine Ahnung, entrüstet wandte sie sich Fritze zu: „Du hast doch nicht etwa …“
Da stand Lolle auch schon auf, drückte das Rückgrat durch und erklärte feierlich:
„Leute, ich muss euch etwas sagen!“
„Lass mich raten: Du kannst fliegen!“
„Jaaaaaa. Hast du es etwa gesehen?“
„Klar. An Weihnachten ist der Himmel voller Engel, wie du einer bist.“
Fritze verschluckte sich gickernd am Havanna Club. Wie ein verliebter Igel blickte er seiner Hilde in die müden Augen.
„Auf ein neues Abenteuer!“
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