: Bremerhaven im Film-Mekka
erfolgDie von Studenten gedrehte Doku „Das Leben, you know“ über den Stadtteil Lehe schaffte es zum Los Angeles Urban Filmfestival - das merkte bloß kaum jemand
von Wilfried Hippen
Die Pressemitteilung der Hochschule Bremerhaven vom 22. Dezember wirkte wie eine kleine Sensation: Die 60 Minuten lange Dokumentation „Das Leben,you know“, die von StudentInnen des Studiengangs Digitale Medienproduktion gedreht wurde, ist für das Programm eines Filmfestivals in Los Angeles ausgewählt worden. Das L. A. Urban Filmfestival ist zwar weitestgehend unbekannt, aber Los Angeles ist nun mal das Mekka der Filmbranche.
Es handelt sich um ein „Online-Festival“ – also wurden die Filmemacher nicht, wie sonst üblich, zu einer feierlichen Premiere eingeladen. Aber am 27. Dezember würde ihr Film „voraussichtlich“ auf der Website des Festivals abrufbar sein. Seltsam ist nur, dass die Homepage des Festivals äußerst minimalistisch gestaltet ist und außerdem war der Sonntag direkt nach Weihnachten ein extrem ungünstiger Termin für ein Festival.
Was an diesem Tag passiert, fällt kaum auf, und so werden wohl auch nur wenige gemerkt haben, dass „That’s Life, You Know“ (so der Festivaltitel des Films) nicht, wie angekündigt, ins Netz gestellt wurde, denn er war mit zehn anderen Filmen in der Kategorie „documentaries“ nominiert und nur die Gewinnerfilme waren kurz im streaming anzusehen.
Inzwischen sind auf der Homepage nur noch Fotos von den prämierten Filmemachern zu sehen, die strahlend ihre Urkunden in den Händen halten. Das Ganze scheint also eher eine Luftnummer zu sein, bei der es aber nur Gewinner gibt: Die Festivalmacher streichen bei wenig Aufwand die Einreichungsgebühren der Filmemacher ein und selbst die bloß nominierten Filme können sich mit der Teilnahme an einem US-amerikanischen Festival schmücken.
So sieht es auch Professor Holger Rada. Unter seiner Leitung entstand der Film zwischen Oktober 2014 und August 2015 mit einem Team von elf StudentInnen im dritten und vierten Semester. Diese erste Zusage eines Festivals sei ein „Türöffner“.
Trotzdem ist es schade, dass nicht mehr hinter dieser Nominierung steckte, denn dem Projekt wäre ein kleiner internationaler Erfolg zu wünschen gewesen. „Das Leben, you know“ ist zwar keine spektakuläre oder stilbildende Dokumentation, aber auch mehr als ein handwerklich solide gezimmertes Hochschulprojekt. Die jungen Filmemacher sind mit ihren Kameras in das am meisten verrufene Viertel der Stadt gegangen.
Lehe ist der Problemstadtteil von Bremerhaven. Hier ist die Arbeitslosenquote hoch und es gibt viel Kriminalität. Auf den Straßen sieht man leer stehende Häuser und es gibt heruntergekommene Ecken. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen sind alltäglich und der Kiez mit dem schlechtesten Ruf heißt ausgerechnet Goethequartier.
Ein Grundprinzip des Projektes war es, nicht über die Bewohner des Stadtteils, sondern mit ihnen diesen Film zu machen, und so suchten die Filmemacher nach Protagonisten, anhand von deren Lebensgeschichten sie etwas über Lehe erzählen und zeigen konnten. Sie hatten sowohl das Glück wie auch das Gespür dafür, fünf Bewohner von Lehe zu finden, die interessante Persönlichkeiten sind, sich der Kamera gegenüber öffnen können und die verschiedenen Milieus in Lehe gut abdecken.
So repräsentiert etwa der US-Amerikaner Willie Kimbrouch die vergangene, vermeintlich bessere Zeit, als Bremerhaven noch ein Militärstützpunkt war und sowohl die Soldaten wie auch das Geld der US-Armee die Stadt prägte. Nach deren Abzug blieb Kimbrouch zurück. Über die Gründe dafür will er sich nicht genau äußern: „Loose ends“ müssten noch verknüpft werden und dies tut er nun seit 20 Jahren, in denen er in einem Imbiss Hot Dogs brät und verkauft. Ähnlich wie er scheint auch Bodil Wesel in Lehe einfach hängengeblieben zu sein. Seit 26 Jahren lebt die Norwegerin dort, betreibt dort eine Karaoke-Bar und scheint hinter ihrem Tresen zu wohnen. Sie erzählt aber auch, dass sie Angst davor hat, im Dunkeln alleine durch die Straßen ihres Viertels zu gehen.
Brigitte Hawelka ist die Quartiersmeisterin von Lehe und macht mit dem Kamerateam ein paar Spaziergänge durch ihr Revier, das sie als „rau und grau“ beschreibt und dabei überraschenderweise eher hoffnungsfroh klingt. Ein kleiner Running Gag des Films besteht darin, dass sie wiederholt von Männern flankiert wird, die aber neben ihr nicht ein Wort zu sagen haben.
Akram Abdulsatar ist im Irak geboren und zusammen mit seiner Familie erfolgreich integriert. Er studiert, arbeitet im Hafen, wo er Autos in die riesigen Lastschiffe verlädt und raucht mit seinen Freunden nach Feierabend seine Wasserpfeife im Café.
Erst nach mehr als der Hälfte des Films wird schließlich mit Hans-Joachim Prigge der letzte Protagonist des Films eingeführt. Und dies ist eine dramaturgisch kluge Entscheidung, denn so wird der Erzählrhythmus des Films aufgebrochen und somit wieder interessant – und als Kontaktpolizist ist Prigge eine Amtsperson, die mehr über die anderen als über sich selber erzählt. Dabei entpuppt er sich aber als ein im besten Sinne des Wortes kontaktfreudiger Mensch, der so positiv über seine Arbeit und seine Mitmenschen redet, dass der Film zum Ende hin fast zur Idylle wird.
Bisher wurde „Das Leben, you know“ erst einmal auf einer Premiere im September öffentlich gezeigt. Holger Rada hofft auf eine Festival-Karriere in diesem Jahr und hält den Film deshalb noch unter Verschluss. Aber später im Jahr sind Vorführungen in Lehe geplant und irgendwann wird er wohl auch, allerdings nur von der Hochschule, ins Netz gestellt werden.
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