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Archiv-Artikel

Tumult im Düsseldorfer Sicherheitstrakt

Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilt drei Palästinenser zu Haftstrafen zwischen sechs und acht Jahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe. Doch ein Angeklagter geht erst mal nicht ins Gefängnis, sondern stürmt aus dem Saal

AUS DÜSSELDORF PASCAL BEUCKER

Irgendwann war es für Aschraf al-D. genug. „Das haben wir schon alles gehört“, rief der im Gaza-Streifen geborene 36-Jährige dem Vorsitzenden Richter Ottmar Breidling mitten in dessen Urteilsbegründung wütend entgegen. Als der ihm mit Ausschluss aus dem Prozess drohte, sagte der Angeklagte „Tschüss“, stand auf und stürmte an den verdutzten Sicherheitsbeamten vorbei aus dem Saal. „Kennen Sie Ihre Aufgaben nicht?“, raunzte Breidling erbost die Saalwächter im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichts an. Es dauerte über zehn Minuten, bis es die Beamten Aschraf al-D. wieder vorführten – an Armen und Beinen gefesselt. Dann schloss Breidling ihn von der Verhandlung aus.

In Rage hatte al-D. wie auch seine – ebenfalls später ausgeschlossenen – Mitangeklagten Mohamad Abu D. und Ismail S. die Urteile des 6. Strafsenats gebracht: Das Gericht verurteilte gestern die drei Palästinenser als mutmaßliche Mitglieder einer deutschen Zelle der islamistischen Terrorgruppe al-Tawhid zu Haftstrafen zwischen sechs und acht Jahren. Die Richter hielten es für erwiesen, dass sie „auf Anweisung des international gesuchten Terroristen al-Sarkawi in Deutschland Anschläge auf jüdisch-israelische Ziele vorbereitet“ hätten. Ferner hätten sie „Kampfgenossen“ im Ausland mit falschen Papieren versorgt. Die Gruppe verbunden habe ihre strenge Religiosität und „ein abgrundtiefer Hass auf Juden, Israelis und letztlich auf alle Ungläubigen“, sagte der Vorsitzende.

Der vierte Angeklagte, Djamel M., erhielt wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Delikte wie Urkundenfälschung und Waffenhandels eine Haftstrafe von fünf Jahren. Der Algerier hatte auf Anraten seiner Anwälte im Prozess als Einziger ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Das wertete das Gericht als strafmildernd.

Die Richter nutzten die Urteilsverkündung, um die Praxis des Ausländerrechts zu missbilligen. Dieser Prozess hätte nicht stattfinden müssen, „wenn das Ausländerrecht konsequent angewandt worden wäre“, schimpfte Breidling. Es stelle sich die Frage, ob die Angeklagten, nicht bei konsequenter Anwendung des Ausländerrechts – und zwar bei konsequenter Anwendung auf jeder Entscheidungsebene, also auch der verwaltungsgerichtlichen – hätten frühzeitig abgeschoben werden müssen. Dann hätte es zu den Taten nicht kommen können. Weiter habe der Senat „geradezu ungläubig feststellen müssen“, dass er gleich mehrere Zeugen aus dem Umfeld von Abu D. hätte überführen können, unter falschen Namen die Einbürgerung in Deutschland erschlichen zu haben. Bemerkenswert sei zudem, dass „nahezu sämtliche eingebürgerten Zeugen“ nur mit Hilfe von Dolmetschern hätten vernommen werden können: Sein Fazit: „Es scheint jedenfalls dringend geboten, die Maßstäbe und Kriterien und vor allem die Handhabung bei der Umsetzung des Ausländer- und Einbürgerungsrechts zu prüfen.“

Scharf attackierte der Richter auch die Verteidigung der Angeklagten. Diese hätte „die Bemühungen des Senats um Wahrheitsfindung“ erschwert, und zwar durch ein „Verteidigerverhalten, das nicht den Regeln der Strafprozessordnung entspricht und die Frage eines strafbaren Verhaltens aufwirft“. Auf Einzelheiten dieses „ungeheuerlichen Vorfalls“ wollte er jedoch nicht eingehen, „da hiermit die Staatsanwaltschaft Düsseldorf befasst ist“. Breidling wies den Vorwurf der Verteidigung zurück, es habe sich um einen politisches Prozess gehandelt. Das sei „ein ungeheurer Vorwurf“, sagte er: „Ein politisches Verfahrensrecht gibt es nicht, auch nicht vor den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte.“

Ein lobendes Wort hatte das Gericht hingegen für die Nachrichtendienste und die Strafverfolgungsbehörden übrig: „Sämtliche Behörden haben genau zum richtigen Zeitpunkt das Richtige getan.“