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StadtgesprächZu viele Schnellschüsse

Nur 6.000 von 130.000 britischen Polizisten tragen eine Waffe. Nach Paris will der Premier das ändern

Daniel Zylbersztajn Aus London

Wood Green, London, an einem Freitag im Dezember. Eine bewaffnete Sondereinheit der Metropolitan Police (Met) spürt auf Streife eine vermeintliche Gang in einer ruhigen Sackgasse auf. Die Überprüfung der Personen verläuft indes nicht nach Plan. Eine Person wird durch den Schuss eines Beamten getötet. Die Person ist ein schwarzer junger Mann. Der Schuss trifft ihn in den Nacken. Er stirbt an diesem 11. Dezember 2015 an der Kugel eines Polizisten.

Sofort will das Boulevardblatt The Sun wissen, dass es sich bei dem Erschossenen um einen schwarzen Gangster handelt. Der Artikel suggeriert, dass Mitleid völlig unangebracht sei. Tatsächlich ist das Opfer der 28-jährige Jermaine Baker. Und der ist Vater von zwei Kindern. All jene, die ihn kannten, versichern hoch und heilig, dass er nie in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt war. Auch die Met bestätigt schließĺich, dass Baker nach ihrer Erkenntnis nie Mitglied einer kriminellen Bande gewesen sei. Die Empörung in Nord­london ist groß.

Und die Erinnerung an einen anderen Fall ist noch sehr präsent. Es ist gerade einmal vier Jahre her, dass eine Polizei­kugel den 29-jährigen Mark Dug­gan tötete. Duggan war zum Zeitpunkt seiner Erschießung durch die Polizei unbewaffnet. Im Stadtteil Tottenham kam es danach zu Demonstrationen und Ausschreitungen, die auf andere Städte Großbritanniens übergriffen.

Die Erschießungen von Baker und Duggan gehörten zu den spektakulärsten Fällen von Polizeigewalt im Norden Londons, aber sie waren bei Weitem nicht die einzigen. Doch bis heute ist kein einziger Beamter wegen der tödlichen Schüsse verurteilt worden.

Es war deshalb höchst ungewöhnlich, dass der Beamte, der die Kugel abfeuerte, die Baker tödlich traf, innerhalb von zwei Tagen in Untersuchungshaft genommen wurde. Die interne Polizeibehörde eröffnete ein Verfahren wegen eines Tötungsdeliktes. Auch trafen sich Spitzenbeamte der Metropolitan Police mit Vertretern der Bevölkerung in Tottenham, um die Lage nicht wieder eskalieren zu lassen.

Die britische Regierung hüllte sich jedoch in Schweigen. Stattdessen redet Premier David ­Cameron lieber über das Attentat von Paris. Als Reaktion der Regierung kündigte er an, die britische Tradition unbewaffneter Polizisten überprüfen zu lassen. Derzeit sind etwa 6.000 von 130.000 PolizeibeamtInnen in England und Wales im Schusswaffengebrauch ausgebildet.

Doch die Londoner stehen einer Bewaffnung der Polizei äußerst kritisch gegenüber. Für viele trifft das zu, was der 33-jährige Anthony Laylor sagte: „Je mehr Schusswaffen die Met hat, umso höher ist das Risiko, dass Kugeln Unschuldige erwischen.“

Als die Met im Jahre 1829 gegründet wurde, wollte man unbedingt einen Unterschied zum Militär machen. Auf Schusswaffen wurde deshalb verzichtet. Laut einer Umfrage der Polizeigewerkschaft ist man darauf bis heute stolz darauf. Ganze 82 Prozent der Befragten lehnten das Tragen von Waffen im Dienst ab, auch wenn sie sich nicht von schießenden Kollegen distanzieren.

Was eine Wiederholung von Gewalt auf den Straßen verhindern kann, ist einzig der Nachweis, dass falsch handelnde Polizeibeamte, die Menschen töten, zur Verantwortung gezogen werden. Und wer glaubt, dass bewaffnete Polizisten die Stadt sicherer machen, erinnere sich an den Fall des Brasilianers Jean Charles de Menezes, der von Sicherheitskräften in der Londoner U-Bahn im Juli 2005 fälschlich als Terrorist verdächtigt wurde und ohne Fragen erschossen wurde.

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