Geht’s noch?
: Fest der Kaufkraft

Weihnachten in Deutschland – eine nationale Leistungsshow. Geld ausgeben, Familie ertragen und viel trinken. Um mehr geht es nicht

Weiche Flocken aus künstlichem Schnee umsäuseln verträumt dein Portemonnaie“ – diese Zeilen reimt Konstantin Wecker in seinem Song „Es weihnachtet sehr“. Er stammt aus den 80er Jahren und ist heute aktueller denn je. Weihnachten, das ist inzwischen das einzige Event im Jahr, von dem auch noch einige Wochen später die Nachrichten berichten. Nämlich dann, wenn die Zahlen feststehen, wenn klar ist, wie gut oder schlecht die KonsumentInnen performten.

Wenn es nicht gut um die Kaufkraft steht, ist das Fest nur ein halbes Fest gewesen und hat man die Lieben nicht ordentlich beschenkt. Die Deutschen als Exportweltmeister, als wirtschaftliches Zentrum Europas und führende Industrienation haben zur Weihnachtszeit finanzielle Höchstleistungen abzuliefern. Alles andere ist indiskutabel, ist Krise und erstes Vorzeichen einer Armut, wie sie in Spanien, Griechenland oder Portugal längst grassiert. Weihnachten in Deutschland – eine nationale Leistungsschau.

„Draußen, wo wirklich die Kälte wohnt, wo sich das Christkindgesäusel nicht lohnt, drunten in den Asylen und Heimen beginnt wieder das alljährliche Schleimen“, textet Konstantin Wecker in seinem Song weiter. Draußen kauern jene, die in der weihnachtlichen Leistungsschau nicht mehr mithalten können. Die Verlierer einer Gesellschaft, in der der Bezug von Sozialleistungen etwas Anrüchiges hat und in der das Engagement für Umverteilung als anstößig empfunden wird. Zu Weihnachten tischen Prominente diesen aussortierten Gänsebraten auf und schicken Supermärkte den Sammelstationen der Tafeln eine Extra-Palette voller MHD-Lebensmittel – eine Geste der Solidarität oder bloß Ablasshandel?

Jene, die noch leistungsfähig sind, schleppen sich derweil lethargisch quer durchs Land, um dem Konsumterror den Familienstress folgen zu lassen: wirre politische Diskussionen und familiäre Zwistigkeiten, ertränkt in reichlich Bier, Wein und Schnaps. Und schließlich ist es die Getränkeindustrie, die Weihnachten erträglich macht und ans Familiäre glauben lässt. Manuel Schubert