"Ausplünderung", "Leichenfledderei", "Nähe zum Massenmord"

NS-Raub Das Speditionsunternehmen Kühne und Nagel hat von „Arisierungen“ während der Nazizeit profitiert. Forscher haben umfangreiches Material zur „proaktiven“ Rolle des Konzerns vorgelegt. Trotzdem verweigert die Firma Einsicht in ihr Archiv

Mehrfache Auszeichnungen der Firma als „NS-Musterbetrieb“ mit „Gau-Diplom“

BREMEN taz | Frank Bajohr, der Leiter des Münchner Zentrums für Holocaust-Studien, findet klare Worte: Er attestiert den Geschäften der Spedition Kühne und Nagel (K + N) im „Dritten Reich“ eine „relative Nähe zum Massenmord“. Die Firma habe durch die umfassende Verwertung des Besitzes Deportierter „eine Form von Leichenfledderei“ betrieben.

Die NS-Geschäfte von K + N sind seit Längerem bekannt. Die taz dokumentierte 2010 die umfangreichen Forschungen des Politikwissenschaftlers Wolfgang Dreßen. Der hatte in einer Dachkammer des Kölner Finanzamts riesige Aktenkonvolute gefunden, die den Umfang der von K + N durchgeführten „Arisierungen“ umrissen: 500 Frachtkähne, 674 Züge und 26.984 Güterwaggons bot das Unternehmen auf, um allein den Besitz jüdischer Deportierter aus Frankreich und Benelux abzutransportieren.

Ungeachtet aller vorliegenden Fakten erklärte der Konzern Anfang 2015 zu seinen Aktivitäten in der NS-Zeit: „Der Rolle von Kühne + Nagel in diesen Zeitperioden mangelt es an Relevanz.“ Zwar habe man in der Tat Möbel transportiert. „Unklar“ sei jedoch, „wer die Spedition beauftragt hatte, ob dies in einem kulturpolitischen Zusammenhang erfolgte und falls ja, ob die Durchführung wissentlich und willentlich geschah.“

Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen bereits mehrfach auf entsprechende Archivbestände und Studien hingewiesen worden: Denn auch im Bremer Finanzamt fanden sich im vergangenen Jahr zahlreiche Belege für die enge Verflechtung zwischen Fiskalbehörde, Gestapo und Speditionen bei der Ausplünderung – sowohl der einheimischen jüdischen Bevölkerung als auch der über Bremerhaven reisenden Auswanderer.

Der Historiker Johannes Beermann, der im Bremer Staatsarchiv recherchierte, resümiert: Die Speditionen hätten sich „eifrig in den Dienst der Gestapo gestellt“. Während K + N in Bremen durchaus Konkurrenz hatte, konnte es sich im „Auslandsgeschäft“ eine Monopolstellung bei der „Aktion M“ sichern. „M“ stand für Möbel und meinte die systematische Ausplünderung der westeuropäischen Juden. Nach Besichtigung eines entsprechendes Sammellagers in Biarritz zeigte sich der K + N-Geschäftsführer zufrieden, dass die Gegend bereits weitgehend nach jüdischem Besitz „durchkämmt“ sei.

Im März 2015 „bekannte“ sich das Unternehmen erstmals dazu, „zum Teil im staatlichen Auftrag“ gehandelt zu haben, was man auch bedauere. Aber man habe eben „in dunklen und schwierigen Zeiten seine Existenz behaupten“ müssen. Zudem seien „die seinerzeitigen Verhältnisse in der Diktatur zu berücksichtigen“. Kein Wort jedoch über die ausgesprochen „proaktive“ Rolle des Unternehmens bei der Auftragsakquise. Kein Wort über die mehrfachen Auszeichnungen der Spedition als „NS-Musterbetrieb“ mit „Gau-Diplom“.

Im Holocaust Memorial Centre in Montreal fand die taz die Verträge, mit denen K + N 1933 seinen jüdischen Teilhaber ausbootete. Warum Adolf Maass, der in Auschwitz ermordet wurde, diese Knebelverträge unterschrieb, ist unklar. Im Hamburger Staatsarchiv ist jedoch dokumentiert, dass Werner Kühne am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintrat – acht Tage, nachdem Maass das Unternehmen verlassen hatte.

Der Zugang zum K + N-Firmenarchiv ist für Historiker weiterhin gesperrt. Ersatzweise versprach das Unternehmen für das Jubiläumsjahr eine „firmen­interne Dokumentation“. Wer das streng unter Verschluss gehaltene schmale Werk in die Hände bekommt, findet in der Tat einen kurzen Abschnitt mit dem Titel „In dunkler Zeit“. Doch der widmet sich ganz überwiegend der Erwägung, welch große wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu bewältigen gewesen seien. Henning Bleyl